Der Kaffeehaendler - Roman
nicht an!«
»Bitte, Senhora. Ich will Sie bloß auf Ihr Zimmer begleiten, ehe Sie Schande über sich bringen.«
»Ausgerechnet du sprichst von Schande?«, erwiderte Hannah.
Miguel verstand diese Auseinandersetzung nicht. Warum erlaubte Annetje sich, in solch gehässigem Ton mit Hannah zu reden? Er sah in ihr eigentlich keine Frau, die etwas zu sagen hatte, bloß ein hübsches Ding, das für ein gelegentliches Techtelmechtel gut war. Nun erkannte er, dass es hier Intrigen gab – Komplotte und Ränke, die er sich nicht hätte träumen lassen. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch Daniel erschien an der Tür.
»Was geht hier vor?«
Er schaute auf die beiden Frauen, die für ein beiläufiges Geplänkel zu dicht beieinander standen. Hannahs Gesicht war inzwischen ganz rot geworden und Annetjes war zu einer Maske des Zorns versteinert. Sie funkelten sich wütend an, aber als sie seine Stimme hörten, drehten sie sich um und sanken in sich zusammen wie schuldbewusste Kinder, die bei einem gefährlichen Spiel ertappt wurden.
»Was geht hier vor, habe ich gefragt«, wiederholte Daniel, diesmal an Miguel gewandt. »Rührt sie meine Frau an?«
Miguel versuchte zu überlegen, welche Lüge Hannah am dienlichsten sein könnte, doch ihm fiel keine ein. Wenn er das Mädchen beschuldigte, verriet sie vielleicht ihre Herrin, wenn er dagegen nichts sagte, wie sollte Hannah dann diese Misshandlung erklären? »Dienstboten haben eben kein Benehmen«, sagte er kläglich.
»Ich weiß, dass diese Holländer kein Gefühl für Anstand haben«, rief Daniel, »aber jetzt reicht es mir. Ich habe meine Frau lange genug mit dieser unverschämten Dirne gewähren lassen und werde mir ihr Flehen nicht mehr anhören. Das Mädchen muss gehen.«
Miguel mühte sich, Worte zu finden, durch die sich die allgemeine Hitzigkeit abkühlen würde, doch Annetje sprach als Erste. Sie trat einen Schritt auf Daniel zu und grinste ihm offen höhnisch ins Gesicht. »Sie glauben, ich verstehe euer
portugiesisches Kauderwelsch nicht?«, fragte sie ihn auf Holländisch. »Ich rühre Ihre Frau an, wann es mir gefällt. Ihre Frau«, lachte sie. »Sie kennen Ihre Frau doch gar nicht, die Geschenke von Ihrem Bruder annimmt und sie in ihrer Schürze versteckt. Und ihre Wollust ist die geringste ihrer Sünden. Ihre Frau, verehrter Senhor, ist Katholikin, so katholisch wie der Papst, und sie geht so oft in die Kirche, wie sie kann. Sie legt die Beichte ab, und sie trinkt das Blut Christi und isst von seinem Leib. Sie tut Dinge, die Ihre teuflische jüdische Seele entsetzen würden. Und ich bleibe keinen Augenblick länger in diesem Haus. Arbeit gibt es auch woanders, und bei Christen dazu, also verabschiede ich mich von Ihnen.«
Annetje wirbelte herum und ließ ihre Röcke rascheln, wie sie es bei Schauspielerinnen auf der Bühne gesehen hatte. Sie reckte das Kinn hoch, während sie ging, und verharrte einen Moment auf der Schwelle. »Ich schicke einen Jungen nach meinem Lohn«, sagte sie und blieb noch stehen, weil sie Daniels Reaktion abwarten wollte.
Da standen sie, reglos und schweigend. Hannah hielt ihren Körper umklammert und wagte kaum zu atmen, bis ihre Lungen zu platzen drohten und sie Luft einsog wie jemand, der lange unter Wasser gewesen ist. Miguel biss sich auf die Lippen. Daniel war starr wie die Gestalt auf einem Gemälde.
Es herrschte Beklommenheit, heiße, juckende Beklommenheit, wie Miguel sie erst zweimal in seinem Leben verspürt hatte: einmal in Lissabon, als er erfahren hat, dass die Inquisition ihn befragen wollte, und dann in Amsterdam, als er hörte, dass ihn seine Investitionen in Zucker ruiniert hatten.
In Gedanken ging er das Geschehene noch einmal durch: die verstohlenen Blicke, die heimlichen Gespräche, das Kaffeetrinken. Er hatte Hannahs Hand gehalten, er hatte mit ihr gesprochen wie ein Liebhaber, er hatte ihr ein Geschenk gemacht. Wenn er nur gewusst hätte, was sich zwischen ihr und
dem Mädchen abspielte. Aber er konnte die Vergangenheit nicht auslöschen. Von jetzt an durfte es keine Falschheit mehr geben. Ein Mann konnte ein Leben als Gauner führen, doch es gab immer Momente, zwangsläufige Momente, in denen die Gaunerei ans Licht kam.
Annetje genoss das Schweigen sichtlich. Jede peinliche Sekunde erregte sie, während sie Daniel herausfordernd anschaute, aber er starrte sie nur in höchster Verwunderung an.
»Sie haben nichts zu sagen, Sie Hahnrei?«, spie sie ihn an. »Sie sind ein Tölpel, und ich überlasse Sie
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