Der Kaffeehaendler - Roman
kennen?«
Miguel trat einen Schritt vor, gerade weit genug, um Vertraulichkeit anzudeuten. »Oh nein, Senhora. Das würde ich niemals wagen. Ich weiß, es erscheint ungewöhnlich, doch die Welt« – er stieß einen Seufzer aus – »die Welt ist komplizierter, als Sie denken.«
»Reden Sie nicht so mit mir«, sagte sie, jetzt mit etwas lauterer Stimme, »ich bin kein Kind, dem man Märchen erzählen muss. Ich weiß, wie die Welt ist.«
Wie diese Frau sich verändert hatte! Sein Kaffee hatte sie zur Holländerin gemacht. »Ich wollte Sie nicht beleidigen. Die Welt ist komplizierter, als sogar ich bis vor kurzem dachte. Aus meinen Feinden sind Verbündete geworden, aus meinen Verbündeten Menschen, denen ich nicht mehr trauen kann. Dieser seltsame und verbitterte Mann ist merkwürdigerweise in die Lage geraten, mir helfen zu können, und er hat sich dafür entschieden. Das muss ich annehmen.«
»Sie müssen mir versprechen, ihn nie wieder in mein Haus zu lassen.«
»Das verspreche ich Ihnen, Senhora. Ich habe ihn nicht gebeten herzukommen und auch nicht geplant, dass die Dinge
einen solchen Verlauf nehmen. Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie zu beschützen«, sagte er mit einem Nachdruck, den er nicht beabsichtigt hatte, »und wenn es mein eigenes Leben kostet.« Die Prahlerei eines Hidalgo fiel ihm leicht, doch er merkte sofort, dass er zu viel gesagt hatte, denn so prahlte ein Mann gegenüber seiner Geliebten, nicht gegenüber seiner Schwägerin.
Miguel konnte es nicht zurücknehmen. Für einen kurzen Augenblick hatte er sich verpflichtet, ihr Geliebter zu sein. »Senhora, ich habe ein Geschenk für Sie.«
»Ein Geschenk?« Der plötzliche Wechsel seines Tonfalls brach den Bann.
»Ja. Ich komme gleich damit zurück.« Miguel eilte in den Keller hinab und holte das Buch, das er für sie gekauft hatte: die Auflistung der Gebote auf Portugiesisch. Ohne Anleitung würde es ihr wenig nützen, doch er hoffte, dass es sie trotzdem freuen würde.
Er hastete in den Salon, wo Hannah wartete und verärgert aussah, als ob sie fürchtete, Miguel würde ihr ein prächtiges Diamantenhalsband überreichen, das sie weder ablehnen noch tragen konnte. Das Geschenk, das er ihr hinhielt, war beinahe so kostbar und beinahe so gefährlich.
»Ein Buch?« Sie nahm es in die Hand und fuhr mit den Fingern über den rauen Ledereinband. Miguel fiel ein, dass sie womöglich nicht einmal wusste, wie man die Seiten aufschnitt. »Machen Sie sich über mich lustig, Senhor? Sie wissen, dass ich nicht lesen kann.«
Miguel lächelte. »Vielleicht unterrichte ich Sie. Ich zweifle nicht daran, dass Sie eine gute Schülerin abgeben.«
Da sah er es in ihren Augen; sie war sein, wenn er es wollte. Er konnte sie in den Keller geleiten und dort, in dem engen Schrankbett, die Frau seines Bruders nehmen. Nein, es war eine Schmähung, sie als Daniels Frau zu bezeichnen. Sie war
eigenständig, und so wollte er sie auch sehen. Was hielt ihn zurück? Sittsamkeit? Verdiente Daniel es nicht, betrogen zu werden, nachdem er Miguel sein Geld gestohlen hatte?
Er war bereit, nach ihr zu greifen, ihre Hand zu packen und mit ihr in den Keller zu gehen. Doch da geschah etwas.
»Was ist denn das?« Annetjes Stimme war so laut, dass sie zusammenzuckten. Sie stand mit verschränkten Armen in der Tür zum Wohnzimmer, ein boshaftes Lächeln auf den Lippen. Sie schaute erst Miguel an, dann Hannah und verdrehte die Augen. »Ich glaube, die Senhora belästigt Sie.« Annetje trat vor und legte Hannah eine Hand auf die Schulter. »Und was haben Sie hier?« Sie nahm Hannah das Buch weg. »Sie wissen doch, dass Sie zu dumm sind für Bücher, Senhora. Zweifellos langweilt sie Sie, Senhor Lienzo. Ich werde dafür sorgen, dass das nicht mehr vorkommt.«
»Gib es deiner Herrin zurück«, sagte er. »Du vergisst dich, Mädchen.«
Annetje zuckte die Achseln und reichte Hannah das Bändchen, die es in die Tasche ihrer Schürze steckte. »Senhor, Sie werden gewiss nicht die Stimme gegen mich erheben wollen. Immerhin« – sie lächelte hinterhältig – »sind Sie nicht der Herr des Hauses, und Ihrem Bruder gefallen die Geschichten womöglich nicht, die man ihm erzählen könnte. Vielleicht denken Sie darüber nach, während ich die Senhora dorthin bringe, wo sie Sie nicht mehr stören kann.« Sie zerrte roh an Hannahs Arm.
»Lass mich los«, sagte Hannah laut, fast schreiend, auf Portugiesisch. Sie befreite sich aus dem Griff des Mädchens. »Rühr mich
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