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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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neben ihnen stand, und Großvater presste seine Hände in die weiche Masse um ihn herum, krallte sich in Lians Haar, das verschwitzt und seidig an ihrem Körper klebte wie nasses Fell.
    Lians Atem ging schneller, es rasselte aus ihrer Brust, sie stöhnte, »Die Weltsensation Lian sagt: Ja«, wiederholte Hu in immer kürzeren Abständen, dann hörte Großvater nichts mehr, und als er wieder zu Sinnen kam, die Arme um Lians Hals geschlungen, um nicht von ihrem bebenden Körper geschleudert zu werden, umfasste ihn mit einem Mal eine solche Trauer, dass er nicht anders konnte, als laut aufzuschreien. »Ich weiß, ich weiß«, sagte Hu und strich Großvater übers Haar. Lian reagierte nicht, sie hatte den Blick abgewandt, doch Großvater konnte sehen, wie sich eine Träne ihre Wange hinabwand , und er fragte sich, ob das wohl seine eigene von ihrem ersten Treffen damals sei.
    Vom Feuer war nur noch die Glut übrig, zu dritt saßen sie auf dem Diwan, Großvater in der Mitte, Lian rechts und Hu links von ihm, und alle drei schwiegen sie. Auch von den Dienern in der Nachbarbucht war nichts mehr zu hören, wahrscheinlich waren sie eingeschlafen, selbst der Fluss rauschte leiser, fast verschämt.
    »Ich will nicht, dass sie stirbt«, sagte Großvater zum Dolmetscher. » Lian sagt, sie wolle auch nicht, dass du stirbst«, sagte der Dolmetscher nach einer kurzen Unterredung hinter Großvaters Rücken.
    »Aber ich sterbe doch auch nicht«, sagte Großvater. » Lian fragt, ob du ihr das versprechen kannst.«
    Großvater überlegte eine Zeit lang, dann nickte er ernst. »Ich will mal sehen, was sich da machen lässt.«
    Er sah mich jetzt zum ersten Mal während seiner ganzen Erzählung an, lächelte kurz und tätschelte mein Knie, als ob ich irgendeine Art von Zuspruch brauchen würde.
    Ich hatte mir alles mit einer Mischung aus Faszination und Befremden angehört, doch so versunken musste ich in seinen Bericht gewesen sein, dass ich mich, als ich nun den Blick wieder schweifen ließ, auf einmal sehr wunderte, hier zu sein, in China zu sein, in Lians Heimat, in Hus Heimat, und mir wurde ein wenig schwindelig, weil mir Großvaters Erzählung immer noch wie eine seiner Gutenachtgeschichten vorkam und China damit ein Teil davon war, und nun befand ich mich mittendrin in seiner Erfindung, und ich musste lange überlegen, was ich mir nun davon einbildete und was nicht. »Großvater?«, fragte ich ihn. »Ja?«, antwortete er, und ich sagte: »Nichts.« Ich hatte nur kurz seine Stimme hören müssen, um sicher sein zu können, dass es zumindest ihn in Wirklichkeit gab, dass er tatsächlich hier saß, dass er mit »Ja« antwortete und nicht mit einem kehligen chinesischen Laut.
    »Wollen wir was essen?«, fragte er, ich nickte, und wir setzten uns wieder aufs Tandem. Obwohl wir den Park an derselben Stelle verließen, an der wir hineingefahren waren, schienen wir uns auf einmal in einem völlig anderen Stadtviertel zu befinden, statt durch modernde und verwinkelte Altstadtgassen radelten wir nun durch luftige, von Bäumen gesäumte Straßen. Es wimmelte von vornehmen Restaurants, Modeboutiquen und kleinen Bäckereien, aus den geöffneten Fenstern der Jugendstil-Wohnblocks drang Akkordeonmusik, eine Gruppe uniformierter Schulmädchen, jeweils mit einem Globus in der Hand, winkte uns lachend zu.
    Ich saß wieder hinten und versuchte Großvater anhand der kleinen Karte im Reiseführer Anweisungen zu geben. Allem Anschein nach waren wir in der Französischen Konzession, dem vornehmsten Stadtviertel Schanghais . Es war nicht einfach, während des Fahrens zu lesen, der Wind blätterte ständig die Seiten um, eine Hand behielt ich wegen des immer noch dichten Verkehrs lieber am Lenkrad, außerdem wies mich Großvater andauernd auf angebliche Sehenswürdigkeiten hin (»Links die Oper«, »Da hinten das älteste Bordell Chinas«, »Schau mal, ein schönes Haus«), aber soweit ich den Reiseführer verstand, hat sich Schanghai erst durch den Seehandel im 19. Jahrhundert von einer Kleinstadt in die Metropole verwandelt, die sie nun zweifellos geworden ist (»Schanghai« bedeutet daher auch »Vom Meer gebaut«). Die europäischen Einflüsse sind dementsprechend groß, es gibt neben der Französischen Konzession auch einen spanischen Teil, einen portugiesischen, englischen und niederländischen. Selbst die belgische Minderheit lebt noch zusammen, allerdings ist das einst ausufernde Viertel im Laufe der Jahre auf die mittleren beiden Etagen eines

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