Der Kalligraph Des Bischofs.
das Bild. »Und Ihr habt die Lehre aus Tours mitgebracht?«
»So ist es. Ein weiser Mönch mit Namen Aelfnoth hat mir dieses Zeichnen beigebracht. Er selbst war Schüler von Alkuin, als
der noch lebte.«
»Vom berühmten Alkuin … Ich sollte meine Notare auch zu diesem Aelfnoth schicken.«
»Das geht leider nicht. Er ist inzwischen gestorben.«
»Was nützt das Schreiben, guter Dructeramnus«, mischte |362| sich Godeoch ein, »wenn sich niemand an die Abmachungen hält? Hinter jedem Pergamentfetzen müssen Schwerter stehen, sonst
ist er wertlos.«
»Wertlos? Habt Ihr einen Blick auf dieses Pergament geworfen?«
»Ja, ja, habe ich. Ein paar Striche, einige Farbflecken.«
Dructeramnus senkte wieder die Adlernase über das Pergament. »Gut, daß ich meinen Schreiber mit mir habe. Er muß sich das
unbedingt anschauen.«
»Sagt, Euer Schreiber ist doch unten im Speisesaal bei den anderen. Warum schickt Ihr den jungen Tintenkleckser nicht mit
seinem Werk nach unten, damit sie sich unterhalten können?«
»Würdet Ihr das machen?« Dructeramnus sah zu Germunt auf. Dann wandte er sich an Claudius: »Mit Eurer Erlaubnis, Ehrwürden.«
Claudius nickte.
Wie ein Vogel im Netz,
schoß es Ger munt durch den Kopf.
Godeoch knüpft die Fäden so rasch, daß er gar nicht entkommen kann.
Er faltete das Pergament zusammen, so langsam es ihm möglich war, um Zeit zu gewinnen .
»Der Kaiser«, sagte Iustus, »wird nicht erfreut sein, wenn er hört, daß Ihr Euch der Synode fernhalten möchtet. Er könnte
Euer Fehlen als Ungehorsam auslegen.«
»Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.«
Godeoch lachte meckernd. »Wollt Ihr damit sagen, daß Ludwig einen anderen Weg geht, als Gott es will? Er wurde vom Heiligen
Vater zum Kaiser gesalbt! Ihr werdet wahnwitzig, Bischof.«
»Und Ihr gefährdet Euer Amt«, ergänzte Dructeramnus.
Vor der Tür traf Germunt auf Eike und Frodwald, die gefüllte Birnen, Honigkuchen und Zuckergebäck trugen. Der süße, warme
Geruch machte ihn ärgerlich. »Geht nur dort hinein, füttert sie, die Wölfe, die unseren Bischof zerreißen.«
|363| Immer wieder floß die Stille in Germunts Ohren, und seine Augenlider sanken herab wie schwere Mehlsäcke.
Das Bettlager ist direkt hinter mir,
mahnten ihn schläfrige Gedanken. Es war kalt hier am Fenster, unter den Decken würde es warm sein. Zu dieser Nachtzeit war
sowieso niemand unterwegs. Turin lag still zu Füßen der Berge, als hätte die Stadt zu atmen aufgehört; nur ab und an heulte
ein streunender Hund in den Gassen.
Ich traue ihnen nicht,
sagte sich Germunt.
Kann ich nicht eine einzige Nacht wachen? Dieser Bischof hat mir das Leben gerettet, ich kann ihn jetzt nicht seinem Schicksal
überlassen.
Er konnte ja den Kopf auf die Fensterbank legen. Der Schemel war nicht gerade bequem, auf dem er saß, aber wenn er den Oberkörper
zur Seite neigte, den Arm unter das Ohr schob und sich auf die Fensterbank sinken ließ, dann war das schon ganz …
Schritte knirschten auf dem Hof. Er sollte wenigstens für einen Moment die Lider heben und nachschauen. Oder bildete er sich
die Schritte nur ein? War das nicht der Beginn eines Traumes?
Als Germunt den Zipfel einer Stimme über den Hof wehen hörte, fuhr er auf. Im hellen Mondlicht sah er jemanden an der Tür
zu den Gästeräumen stehen. Er wurde eingelassen. Mit schmerzenden Beinen und Armen eilte Germunt die Treppe hinunter.
Unten auf dem Hof hinkte er an der Wand entlang, bis er vor dem Gästehaus stand. Er zögerte kurz; preßte schließlich das Ohr
gegen die Tür, lauschte. Die unbarmherzigen Bretter schwiegen. Was, wenn der Besucher ein gedungener Meuchler war, den Godeoch
geschickt hatte, um die Äbte zu erdolchen? Man würde die Tat Claudius zu Lasten legen, weil sie nach einem Streit an seiner
Tafel geschehen war.
Vor Germunts innerem Auge hob sich eine klingenbewehrte Hand über den Schlafenden, um auf sie hinabzustoßen.
Das darf ich nicht zulassen!
Kurz entschlossen drückte er die Tür auf und trat in den finsteren Flur, von |364| dem die drei Gästekammern abzweigten. Hinter einer der Türen waren Stimmen zu hören.
»Feder und Tinte habe ich mitgebracht.«
»Hört, ohne Zweifel hat der Bischof ketzerische Ansichten, aber diese Anklageschrift ist doch etwas zu blutlüstern geschrieben.«
»Für den Fall, daß Ihr nicht unterzeichnen möchtet, hat mich mein Herr gebeten, Euch daran zu erinnern, daß seine Leute auf
den Alpenpässen gern Eure
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