Der Kalligraph Des Bischofs.
weißt, daß für jedes Pergamentstück eine
Ziege ihre Haut hergeben muß? Die Tiere |44| sterben sicher nicht an Altersschwäche, sondern werden blutig ermordet!«
Als ob dir das leid tun würde. Mir genügt es schon, wenn ich sehe, mit welcher Freude du den Fischen die Köpfe abschlägst.
Biterolf sah kopfschüttelnd zum Himmel.
Warum haben die Menschen so viel Freude daran, dein Gebot zu übertreten, das das Töten verbietet?
Er lief zum Palast. Aus dem Kaminsaal drang gedämpft die Stimme des Bischofs. Biterolf klopfte an.
»Kommt herein.«
Auf der langen Tafel waren Karten ausgebreitet; Pläne der Stadt und des umgebenden Landes, das bis hinauf an die Alpen reichte.
Der Kanzler stand Claudius gegenüber und schien in einer umfassenden Geste steckengeblieben zu sein. Als der Bischof Biterolf
nicht weiter beachtete, setzte Eike fort. Er beschrieb über einer Karte einen Kreis. »Dem Grafen gehören die Torzölle der
östlichen Stadthälfte und das Zollhaus am Fluß. Die großen Einnahmen durch kostbare Tücher oder Gewürze klingeln in seiner
Kasse, denn alle Waren aus und nach Pavia, Verona, Ravenna und Venedig passieren seine Tore. Ihr, Bischof, seid für den Westen
der Stadt zuständig und könnt allenfalls die Weinbauern mit Zöllen belegen, die aus den Hängen Traubensaft locken.«
Claudius zog die Stirn in Falten. »Wie ist es mit Transporten nach Franken und Alemannien?«
»Natürlich, wir liefern Tuche nach Norden, das ist richtig. Der Paß über den Cenisberg wird auch für die Einfuhr von fränkischen
Waffen benutzt, das verschafft uns Zolleinnahmen. Dennoch hat der Graf den besseren Teil. Sein Vater war ein umsichtiger Mann,
während Euer Vorgänger –«
»Urteilt nicht über Verstorbene, Kanzler.«
Eike neigte sein Haupt. »Verzeiht.«
»Vor sechs Jahren übernahm Godeoch den Platz seines Vaters?«
»So ist es. Das Volk hat einst den Grafen geachtet; vor |45| Godeoch fürchtet es sich. Der junge Herr führt das Gericht mit Willkür und Grausamkeit. In den letzten Jahren sind mehr Menschen
hingerichtet worden als während des ganzen Lebens des alten Grafen. Godeoch gefällt sich darin, schwer gerüstet durch die
Stadt zu reiten und sich zu gebärden wie ein arabischer Wüstenräuber.«
»Aber das Volk achtet und fürchtet ihn?«
Der Kanzler preßte die Lippen aufeinander. Nach einer Weile nickte er.
»Überwacht der Graf das Marktrecht?«
»Nicht nur das. Er ist auch für die Mauern zuständig, setzt die Torwachen ein und legt die Tavernensteuer fest.«
Mit geballter Faust rieb sich der Bischof das Kinn. »Eine schlechte Lage für uns.« Er sah zu Biterolf hinüber. »Ihr habt gehört,
was Godeoch gestern zu mir gesagt hat, nicht wahr?«
»Ja, Herr.« Es half nichts, daß Biterolf sich bemühte, mit fester Stimme zu antworten. Sie zitterte. Der Notar zwang sich,
in das Gesicht des Bischofs zu schauen.
»Er ist Langobarde. Von kaiserlicher Seite her werden hier sonst fränkische Edle in das Grafenamt eingesetzt, richtig?«
»So ist es. Nahezu überall in Norditalien.«
»Und Godeoch ist die glänzende Ausnahme. Das macht ihn beliebt bei den Langobarden …« Der Bischof zog eine rissige Karte unter
den anderen hervor und studierte sie. Wieder an den Kanzler gewandt, schob er sie beiseite. »Diese Langobarden, sind sie wohlhabend?«
»Im Gegenteil. Sie stammen zwar von den mächtigen Herzogen ab, die hier einst herrschten, aber inzwischen haben die Franken
sie arm und unbedeutend gemacht.«
Das Löwenhaupt des Bischofs wippte zustimmend.
»Sie setzen Euch mit den Franken gleich«, beeilte sich der Kanzler zu sagen. »Nichts kann sie von Godeoch abbringen, der einer
der Ihren ist!«
»Nichts? So viel traut Ihr mir zu, Kanzler?« Etwas Grollendes, Tiefes war in Claudius’ Stimme geraten, und Eike |46| trat erschrocken einen Schritt zurück. Der Bischof sprach versöhnlicher weiter. »Ist Godeoch wirklich Langobarde? Sein schwarzes
Haar glänzt wie das eines Römers.«
»Seine Mutter war Romanin. Auch die edlen Langobarden haben sich mit den Romanen vermischt, Ehrwürden.«
»Sie werden den lieben, der ihnen Bedeutung gibt.«
Es wurde lange geschwiegen. Irgendwann räusperte sich Biterolf unbeholfen. »Ihr hattet mir gestern Vorlagen für ein Buch gezeigt,
Herr.« Als der Schreiber Claudius’ Blick auf sich spürte, strafften sich seine Schultern, und er zog den umfangreichen Leib
ein, so gut er es konnte.
»Das hat noch ein paar Tage
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