Der Kalligraph Des Bischofs.
Geräusche der bischöflichen Immunität genau. Er konnte unterscheiden zwischen den beinahe wie ausgestorben
ruhigen Tagen, an denen die Abwesenheit des Bischofs Arbeiten von einer Stunde drei Stunden dauern ließ, und dem eiligen Treiben
in der übrigen Zeit, das stetig bemüht war, den Augen des Herrn ein fleißiges Bild zu bieten. Dieser Tag hatte ruhig begonnen,
nun war er unerwartet in ein geschäftiges Summen übergegangen: Der Bischof mußte heimgekehrt sein.
Eine Art wilder Mut bemächtigte sich Biterolfs. Er |77| trommelte einige Male mit den Fingern auf das Schreibpult, dann erhob er sich und begann im Raum zu kreisen. Farro kam gesprungen
und lief mit ihm.
Heute würde er es sagen. Die plötzliche Gewißheit trieb Biterolfs Herz zu heftigen Schlägen an. Es war Zeit, sich zu entschuldigen
und zu erfahren, ob die Gunst des Bischofs endgültig verloren war. Sollte er zu ihm hingehen? Mitten auf dem Hof reden, vielleicht
fortgestoßen werden vor allen anderen? Nein. Es mußte im Palast geschehen, gegen Abend.
Er hörte eine Stimme hinter sich. »Man hat mir gesagt, daß Ihr Euch die Kiste holen lassen habt.«
Biterolf drehte sich um und sah in das Gesicht des Bischofs. Dann fiel er auf die Knie. »Vergebt mir, Herr. Ich bitte Euch.«
Es war lange still. Schließlich sagte der Bischof leise: »Euch ist vergeben, Biterolf. Erhebt Euch.«
Der Notar blieb auf seinen Knien, hielt weiter den Kopf gesenkt. »Ehrwürden, hegt Ihr wirklich keinen Groll mehr gegen mich?
Ich habe Euch bei der Weihe durch mein Verhalten sehr beleidigt.«
»Ja, das habt Ihr. Ich war sehr zornig auf Euch.«
»Nun seid Ihr es nicht mehr?«
»Erhebt Euch, Biterolf.«
Ein wenig unsicher stand der Schreiber auf. Als er den Mund öffnete, um sich zu bedanken, kam ihm der Bischof zuvor.
»Sagt, wie kommt Ihr mit meinem schlechten Latein zurecht?«
Ein kurzer Blick bestätigte Biterolf, daß Claudius lächelte. »Ganz hervorragend, Herr! Ich lerne eine Menge über die Heilige
Schrift.«
»Ihr müßt mir nicht schmeicheln. Ich bin vollends besänftigt.«
»Glaubt mir, ich habe selten bei meiner Arbeit so viel Neues erfahren, was die Bibelauslegung angeht.«
|78| Der Bischof machte eine abwehrende Geste. »Es ist vieles nur abgeschrieben. Ich folge fast vollständig Augustin. Ihr fallt
doch nicht wieder in Eure Gewohnheit, ›jaja‹ zu sagen?«
»Ihr möchtet, daß ich Euch widerspreche?«
»Lieber, als daß mich Bestätigung einschläfert wie das gleichförmige Plätschern eines Flusses den Rastenden. Ich muß wach
bleiben.«
Fragen hätte ich schon.
Biterolf zögerte. Unwillkürlich malte er sich aus, wie Claudius zornig werden, wie er die Bretter aus den Regalen reißen und
sie zu Boden werfen würde. Oder ihm das Gesicht mit einem Fausthieb zertrümmern würde. Ein dumpfes Gefühl stieg ihm in die
Nase.
»Fragt.«
»Zwischen den Aufzeichnungen … waren merkwürdige Notizen über den Heiligen Vater, und ich wüßte gern –«
»Ah, daher weht der Wind.« Der Bischof zog sich einen Schemel heran und setzte sich. »Ich fordere nichts anderes, als daß
er durch seine Arbeit heilig wird und nicht durch den Stuhl. Macht mich dieser Schemel zum Notar? Überall kann der Herr Apostel
haben. Er hat nie gesagt, daß allein in Rom das ewige Leben zu erlangen ist.«
»So denkt Ihr?«
»Hat er es denn gesagt? Nur in Rom? Petrus, auf dir baue ich meine Kirche auf, aber das gilt allein für Rom?«
Biterolf wurde es heiß und kalt. »Ihr verwirrt mich.«
»Denkt einmal darüber nach.«
»Hat denn nicht der Papst die Nachfolge des Apostels Petrus angetreten?«
»Das erzählen sie gerne, die Römer, ja.«
Ich muß dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden. Jedes Wort rückt mich der Hölle näher, und Claudius, Claudius …
Konnte der Bischof in seinem heiligen Amt mit beiden Beinen in der Verdammnis stehen? Dies alles war kaum zu begreifen.
»Bitte entschuldigt, ich muß erst darüber nachdenken.«
»Nehmt Euch alle Zeit der Welt.« Claudius erhob sich. |79| Unter den wilden Brauen des Bischofs sah ein Paar warmer Augen zu Biterolf hinüber. »Es ist mir immer eine Freude, mit Euch
Gedanken auszutauschen.«
Lange hatte der Notar dagesessen, sich die Stirn massiert und gegrübelt. Es war einfach unlösbar: Die Dämonen standen entweder
auf des Bischofs Seite oder in Rom beim Heiligen Vater, und beides erschien Biterolf als falsch.
Eine laute Stimme vom Hof schreckte ihn aus seinen
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