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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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wieder gemordet.
    »Wieder … Ich habe wieder …« Der Boden schien unter seinen Füßen zu wanken. Beim ersten Gedanken an die Hölle rannte Germunt
     los. Er mußte Bertlind und Rothari finden, sie waren mitschuldig, sie mußten das bekennen. Sie waren auch schuld.
     
    Bei jedem Atemzug spürte er ein Stechen in den Seiten, die Augen flogen wirr von einem Punkt zum nächsten. Wie er zur Krämerstube
     am Markt gefunden hatte, wußte er nicht, |82| aber er schwankte irgendwann in einen halbdunklen, bis an die Decke mit Waren vollgestopften Raum. Ein grauhaariger Mann fragte
     ihn nach seinem Begehr.
    »Wo sind Rothari und Bertlind?« Germunt fuhr sich mit heißer Zunge über den Gaumen.
    »Die haben die Stadt verlassen, soweit ich weiß.«
    »Wohin?«
    »Ich weiß es nicht. In Turin jedenfalls werdet Ihr sie nicht mehr finden.«
    »Nicht in Turin?«
    »Nein.«
    Abgehauen also.
»Nicht in Turin?« Germunt torkelte aus dem Laden.
Mörder. Du hast wieder getötet.
»Es kommt das Gericht.« Er hörte sich selbst krächzen. »Die Hölle brennt heißer, je schwerer die Sünden sind. Heißer, je schwerer!«
     Die Leute sahen ihn an, als würde er eine fremde Sprache sprechen. »Simon ist tot! Es kommt das Gericht …«
    Wie in grauem Nebel sah er den Marktplatz vor sich. Die Häuser neigten sich herab, und in der Mitte des Platzes riß ein riesiges
     Loch auf, aus dem Flammen schlugen. Die Stimme eines Priesters aus seiner Kindheit donnerte: »Nim mer schlafendes Gewürm frißt ihre Eingeweide. Mörder kommen ins Feuer, an einen Ort, der angefüllt ist mit giftigen Tieren.«
     Langsam torkelte Germunt auf den Rand des Loches zu. Es war unerträglich heiß.
Und was ist, wenn ich die Hitze nicht ertragen kann? Wenn es in der Hölle so heiß brennt, daß ich zu Asche zerfallen will?
     Oh, wie werde ich jeden Sonntag herbeisehnen, wenn die Höllenqualen aussetzen!
    »Wer sich an irdischen Besitz klammert, findet das Verderben!« donnerte der Priester. Er erschien in schwarzem Umhang auf
     der anderen Seite des Platzes. Wild schreiend wichen ihm die Leute aus, während er das Loch umschritt. Er hielt den Blick
     fest auf Germunt gerichtet, und die aus der Tiefe emporschlagenden Flammen konnten ihm nichts anhaben.
Wenn er hier ist, stürzt er mich in die Hölle. Ich habe mich an gestohlenes Salz geklammert, an Geld, an Diebesgut.
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Und ich habe gemordet. Die Hölle wird sehr heiß brennen für mich.
Würmer krochen über den Rand hinauf, auf ihn zu.
    Wer wird mir das Meßopfer darbringen? Niemand.
Germunt sah zum grauen Himmel, in den Glut hinaufstob.
Ich werde wohl nie das Paradies sehen, den Garten, den die Herrlichkeit Gottes erleuchtet.
    Er hörte plötzlich Engelsmusik, sanfte, unbeschreiblich zarte Töne.
Die wohlduftenden Blumen, die reiche Frucht tragenden Bäume, der Baum des Lebens – nie werde ich dort sein. Im Licht, in der
     Nähe Gottes.
    Etwas freundlicher sprach der Priester: »Der Fürst des Lebens, dem Tode erliegend, herrscht als König und lebt.«
Aber kann er mich nicht retten? Kann ich für meine Sünden nicht büßen und gerettet werden?
    »Nein.«
    Was ist mit dem Schächer am Kreuz? Er ist dort gestorben, und Jesus hat ihm das Paradies versprochen.
    »Du dürftest nie wieder sündigen, nie wieder.«
    Ja, das will ich. Nie wieder sündigen.
    »Fliehe.«
    Germunt warf sich herum, rannte in eine Straße, bog in eine Gasse ab.
Nie wieder sündigen. Ich kann das schaffen, wenn ich nur schnell genug sterbe. Wie der Schächer. Das Paradies, ich werde dort
     sein.
    Weit hinter sich hörte er die Stimme des Priesters: »Keine Sünden mehr, mein Sohn.«
    Er hörte Hufschlag. Die Gasse war eng, aber irgend jemand war rücksichtslos genug, sein Pferd ungezügelt voranpreschen zu
     lassen. »Ich verspreche es. Ich stehle nie mehr. Ich morde auch nicht.« Germunt drückte sich gegen die Wand. Er fühlte Zufriedenheit
     durch seine Glieder strömen. Als der Reiter nur noch wenige Schritte entfernt war, warf sich Germunt in die Mitte der Gasse.
    Plötzlich ging alles sehr langsam. Das Pferd flog mit funkenschlagenden Hufen auf ihn zu, der stattliche Mann auf |84| seinem Rücken riß die Zügel hoch und schrie etwas. Vor Germunts Augen liefen Dinge ab, die den vergangenen Jahren angehörten,
     und schlagartig übermannte ihn eiskalte Angst. Er wußte es jetzt, als es zu spät war: daß er einen Fehler machte. Es war Selbsttötung.
     Und Selbsttötung war erneut eine Sünde. Er versuchte aufzustehen. Die Hufe

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