Der Kalligraph Des Bischofs.
Gedanken auf.
»Das darf doch nicht wahr sein.«
Biterolf stand auf und öffnete die Tür. Claudius hatte einen Boten vor sich, mitten auf dem Platz. Der junge Mann duckte sich,
mit langsamen Rückwärtsschritten bemüht, aus der Reichweite des Bischofs zu gelangen.
»Was denkt sich dieser Krüppel von Graf eigentlich?« Claudius schrie so laut, daß es der ganze Stadtteil hören mußte. »Bringt
mir mein Pferd!« Der Bote eilte in Richtung Stall. »Für wen hält er mich? Für einen kleinen, dummen Priester? Ich bin Bischof
in dieser Stadt, zum Donnerwetter, und das heißt, daß er sich mit mir die Herrschaft zu teilen hat!«
Erschrockene Blicke wurden aus jeder Tür, von jeder Seite des Hofes auf Claudius geworfen. Dieser schien das zu bemerken.
Auf seiner Stirn trat kräftig die Ader hervor. »Anstatt zu gaffen, könntet ihr mir endlich mein Pferd bringen! Ich habe keine
Zeit zu verlieren. Der Teufelsknecht bemächtigt sich meiner Bauern!«
Die Stallburschen hielten das weiße Tier mit dem schmalen Kopf noch an den Zügeln, als Claudius schon aufsprang und es ihnen
entriß. Er preschte vom Platz.
Biterolf stand in der Tür der Schreibstube. Ungläubig sah er hin und her zwischen dem Tor, in dem der Bischof eben noch zu
sehen gewesen war, und den Pergamenten, die hinter ihm auf dem Schreibpult lagen.
|80| Als Germunt nach langer Zeit seine Finger aus Simons Handfläche lösen wollte, spürte er, wie sie von klebrigem Blut gehalten
wurden. Sorgfältig riß er einen nach dem anderen los. »Hör zu, Simon, ich gehe nur kurz hinunter zum Fluß. Ich will dir die
Wunden waschen.«
Es kam keine Reaktion.
Germunt kämpfte sich wie durch unsichtbares Gebüsch zum Wasser hinab. Sein Spiegelbild starrte ihm blutüberströmt entgegen.
Er wusch sich das Gesicht. Dann zog er die Kleider aus und bemühte sich, die großen Flecken herauszuspülen. Vergebens. Nach
kurzem Zögern lief er zur Brücke und band sich die Wolfsfelle um den nackten Körper. Die Nüsse schob er zurück ins Versteck.
Mit seiner von Wasser triefenden, blutbefleckten Kleidung in der Hand trat er an Simon heran.
»Du siehst furchtbar aus.« Germunt hörte die eigene Stimme wie aus weiter Entfernung. Seine Hände begannen, Simon mit den
Lumpen die Haut zu waschen. Die dunkle, klaffende Wunde umgingen sie.
Als er fertig war, fiel ihm auf, wie bleich der Hagere war. Vorsichtig lauschte Germunt auf Atemzüge. Ein feiner Hauch war
vor Simons Lippen zu spüren.
»Sie haben Angst bekommen, die Verräter, verstehst du? Angst … Aber du warst mutig.« Germunts Stimme wurde leise.
Und ich?
»Germunt!« hatte er gerufen, als die Menge sich um ihn schloß. »Germunt!«
Ich habe ihm nicht geholfen. Es war meine Idee, das Faß zu stehlen. Eigentlich hätte ich den Speer abkriegen müssen.
Es war wie eine Strafe, eine selbstverhängte Strafe, als er unter die Brücke kroch, die Nüsse hervorholte und sie aß. Sie
schmeckten nicht.
Zwei Mal war die Sonne auf- und wieder untergegangen, da wandelten sich Simons Atemzüge in ein unruhiges Röcheln.
Germunt erwachte aus seiner Starre. »Hast du Durst? Soll ich noch mal Wasser holen vom Fluß?«
|81| Ein bedächtiges Kopfschütteln war die Antwort. Die Hand des Hageren schloß sich fest um Germunts Finger, als er nach angestrengtem
Schlucken flüsterte: »Frag den alten Krämer – am Markt – nach Bertlind und Rothari – diesen Feiglingen – sag ihnen – daß ich
schon mal vorausgegangen bin.«
Germunt blickte wie gebannt auf den Mund, der eben gesprochen hatte. Simon mußte kräftiger sein, als er es gedacht hatte!
Vielleicht kehrte neues Leben in ihn zurück. »Das werde ich tun. Hör zu, ich … Ich habe mich auch richtig feige verhalten.«
Simon versuchte ein Lächeln und flüsterte: »Hast du nicht – Freund.«
Ehe Germunt antworten konnte, sank der Kopf des Hageren zur Seite, und das Röcheln wich einer beklemmenden Stille.
»Du stirbst doch jetzt nicht, oder? Simon? Du stirbst doch nicht?« Germunt packte den Hageren bei den Schultern, wollte ihn
schütteln, ihn wecken, aber er wagte es nicht. »Das ist nicht wahr. Er ist nicht tot.«
Germunt sprang auf und rannte hinab zum Fluß, schöpfte hastig Wasser und trank. »Er ist nicht tot.« Mitten in der Bewegung
hielt er inne, starrte auf das Spiegelbild. Was sagte die Flüsterstimme in ihm? Es war sehr leise.
Mörder.
»Ich bin kein Mörder! Ich habe doch niemanden gezwungen, da mitzumachen!«
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