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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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sein.«
    »Dem können wir abhelfen.« Germunt hörte, daß der Arzt beim Sprechen schmunzelte. »Ich bin Odo.«
    »Sehr schön.«
    »Wie darf ich Euch nennen?«
    »Germunt.«
    Eine Weile arbeitete der Heiler schweigend, und Germunt litt ebenfalls wortlos. Dann erklärte die Stimme: »Ich werde jetzt
     die Salbe auftragen.«
    »Schmerzt es sehr?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich habe sie selbst noch nie auf den Augen gehabt.«
    »Aber Ihr habt sie doch schon angewendet, oder?«
    Der Arzt holte Luft. »Nein. Ich bin Rechtsgelehrter. Die Versorgung von Kranken ist ein Dienst an Christus, den ich bisweilen
     aus freien Stücken ausübe.«
    »Ihr könnt Euch meine Freude vorstellen.«
    »Haltet still.« Germunt spürte ein beständiges Tupfen auf seinen Augen. »Ich bin mir sicher, Ihr würdet vor Dankbarkeit singen,
     wenn Ihr die Bekanntschaft mit Turins anderen Heilkundigen gemacht hättet. Meine Weisheit stammt aus den alten Büchern, die
     ihre müssen sie nach einem starken Regenguß aus den Pfützen gelesen haben. So jedenfalls riecht es aus ihren Töpfchen und
     Bronzeflaschen.«
    »Kann ich Euch anders danken? Ich war noch nie ein guter Sänger.«
    »Werdet gesund.« Der Arzt schwieg einen Moment. »Es ist das erste Mal, daß der neue Bischof mich rufen lassen hat. Ich vermute,
     die Empfehlung stammt vom Notar, Biterolf.«
    »Ihr macht mir die Bedeutung meiner Aufgabe bewußt.«
    »Recht so. Euer eigener Wille kann eine Menge ändern. ›Dein Glaube hat dir geholfen‹, hat Christus immer gesagt, wenn er jemanden
     geheilt hatte. Gegen unseren Willen wird Gott das Wunder der Heilung nicht schenken.« Odo |91| erhob sich. »Ich werde für Euch beten. Es wäre auch gut, wenn Ihr etwas eßt. Ich veranlasse, daß Euch etwas gebracht wird.«
    »Wermutsaft mit Ziegenmilch und Honig?«
    Der Arzt lachte. »Wenn Ihr mögt! Eure Vorliebe für Bitteres ist beachtlich!«
    »Ein bitteres Schicksal hinterläßt seine Spuren.« Es kam keine Antwort. Wahrscheinlich war Odo bereits gegangen.
    Wenig später brachte man dem Verletzten einen Getreidebrei, mit dem er sich füttern ließ. Als seine Hand beiläufig über den
     Bauch glitt, hielt er abrupt inne. Germunt tastete, suchte. Hart schluckte er den Breirest hinunter.
    »Was ist?« fragte ihn eine alte Frauenstimme.
    Zähneknirschen.
Ich habe den Brief verloren. Sicher haben ihn mir die Pferdehufe vom Hals gerissen. Irgendwo hat inzwischen jemand damit das
     Küchenfeuer gespeist.
     
    Eines Morgens nach etlichen Tagen, die Germunt in festen Leinenwickeln nahezu reglos verbracht hatte, fühlte er ein Kitzeln
     in den Augen.
Was hat das zu sagen? Kriechen mir schon Würmer in den toten Höhlen herum?
Da er die Arme nicht zum Kopf führen konnte, schob er sich mit Kopfbewegungen ohne Einsatz der Hände den Verband vom Gesicht.
     Rotes Licht fiel durch seine Augenlider, und da schöpfte er plötzlich Hoffnung.
    Vielleicht war bloß ein Teil der Augen beschädigt, und sie konnten wenigstens einige Sehstrahlen aussenden. Vielleicht würde
     er nicht völlig blind sein, sondern alles in roten Farben sehen. Aber was bedeutete es, wenn nur die roten Sehstrahlen das
     Auge verließen? Hieß es nicht, daß er nur all das sah, was rot war? Den roten Umhang, aber nicht den Menschen? Eine solche
     Welt wäre nicht viel besser als völlige Blindheit.
    O bitte, Gott, ich weiß, ich habe keine Gnade verdient, aber bitte, laß mich nicht nur rote Farben sehen!
Lange lag er da und zitterte.
Ich kann es nicht ewig hinausschieben. Ich
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muß die Augen öffnen. Dieser Moment wird mein ganzes zukünftiges Leben entscheiden.
Erst wollten sich die verklebten Augenlider nicht bewegen, aber dann öffneten sie sich um einen kleinen Spalt.
    Wie glühendes Eisen goß sich weißes Licht in Germunts Stirn, und er schloß die Lider augenblicklich wieder.
Hieß das, blind zu sein? Daß man die Augen nicht öffnen konnte vor Schmerzen? War die Dunkelheit vielleicht nicht schwarz,
     sondern rot, und mehr als dieses Rot würde er nie wieder sehen?
    Noch einmal öffnete Germunt seine Augenlider einen Schlitz weit. Die Helligkeit betäubte ihn, aber er hielt es aus. Wasser
     tropfte ihm aus den Augen, und trotzdem hob er immer weiter die Lider. Und dann sah er erste Schemen. Da war ein kleiner Tisch
     an einer Wand, ganz sicher, und ein Schemel davor. Dort lagen Strohsäcke neben ihm, vier, fünf. Durch die Tür funkelte weißes
     Sonnenlicht. Ein Lachen arbeitete sich in Germunts Brust herauf. »Ich

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