Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Blinde und den Arzt nur geträumt habe? Ich bin gar nicht in einem Raum, sondern liege noch auf der Straße?
Aufmerksam lauschte Germunt nach Geräuschen. Er spürte einen leichten Windzug.
    »Kannst du mir mal sagen, was das soll, Thomas?« In der schneidenden Stimme lagen Hohn und Verachtung. »Warum hat Claudius
     diesen Straßendreck hierhergeschleppt?«
    »Er hat ihn umgeritten, Mann. Schlechtes Gewissen, verstehst du? Oder er hat noch nicht kapiert, daß solches Gesindel in Turin
     haufenweise herumläuft.«
    »Da hätte es doch fast eine Belohnung geben müssen, weil er einen von ihnen erwischt hat.« Die beiden lachten. Den erneuten
     Windzug schienen sie nicht zu bemerken.
    »Wenn es sich herumspricht, daß wir einen Gassenjungen |88| aufgenommen haben, können wir uns vor denen bald nicht mehr retten«, sagte die erste Stimme.
    »Vielleicht will Claudius sich auch beim Volk beliebt machen? Erst reitet er ihn nieder, dann strömen die Leute herbei und
     sehen, wie der Bischof sich rührend um den Verletzten kümmert.«
    Eine neue, kräftige Stimme ertönte. »Ich kann mich gerne auch rührend um Euch beide kümmern.«
    Germunt hörte erschrockenes Japsen.
    »Ehrwürden, verzeiht, wir wußten nicht, daß –«
    »Schweigt, ich will nichts hören! Geht an Eure Arbeit!«
    »Ja, Herr.«
    Die zwei Männer mußten längst gegangen sein, da hörte Germunt die Stimme noch einmal, drohend: »… und hütet Euch in Zukunft,
     meine Entscheidungen zu verspotten.« Schritte verrieten, daß der Mann an Germunts Lager herantrat. Die Stimme klang nun ruhig.
     »Wie geht es Euch? Ihr mußtet ausgerechnet dann aus dem Hause treten, als ich die Gasse entlanggeritten – nein, verzeiht.
     Es ist nicht Eure Schuld. Beten wir, daß Ihr genesen könnt. Ich hätte mich nicht von meiner Wut dazu verleiten lassen sollen,
     durch die Straßen der Stadt zu galoppieren.«
    Germunt verspürte den dringenden Wunsch, den Atem anzuhalten. Der Bischof sollte nicht wissen, daß er wach war. Das mußte
     der Kantabrier sein; dieser Claudius war der Mann, der seine Mutter abgewiesen hatte, als sie Hilfe brauchte.
    Germunt kämpfte die Wärme nieder, die bei den freundlichen Worten des Bischofs in ihm aufgestiegen war.
Vielleicht hast du auch mit meiner Mutter so freundlich gesprochen. Mich täuschst du nicht. Ich kenne dich, Kantabrier.
Das beste wäre es, ihn auszunehmen. Dem Gewissen des Bischofs würde er Genugtuung verschaffen und gleichzeitig für sich alles
     herausholen, was es zu stehlen gab.
    Er hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er eine warme Hand auf seiner Stirn spürte. Nur für einen |89| Augenblick berührte ihn der Bischof. Es kam ihm verboten vor. Was sollte das?
Unsere Beziehung ist rein geschäftlich, Ehrwürden. Vergeßt das nicht,
dachte Germunt. Trotzdem fühlte er sich leer, als die Hand sich wieder von ihm löste. Die Stimme des Arztes riß ihn aus einem
     unruhigen Schlaf. »So, junger Mann, nun wollen wir uns einmal um Eure Augen kümmern.«
    »Werde ich wieder sehen können?« Rabenrauh kamen die Töne aus Germunts Kehle. »Vielleicht um dem«, er räusperte sich, »vielleicht
     um dem nächsten Pferd ausweichen zu können.«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    Das kann er nicht sagen.
Germunt sah sich, abgemagert und mit verfilzten Haaren, eine Häuserwand entlangtasten. Ewige Dunkelheit. Und vielleicht das
     Kichern von Kindern, die ihn am zerlumpten Hemd zogen, die ihm Unrat in den Weg legten oder Grimassen zogen, für ihn unsichtbar.
Laß mich nicht blind sein, Gott!
    Ein Stechen fuhr Germunt in die Augen. »Was tut Ihr da?« rief er entsetzt.
    »Ich habe den Verband abgenommen. Nun werde ich Euch ein wenig das Blut aus den Augenhöhlen wischen. Wenn sie gereinigt sind,
     trage ich Wermutsaft mit Ziegenmilch und Honig auf.«
    »Ziegenmilch und Honig klingt gut. Können wir das bittere Kraut weglassen?« Beim Sprechen biß Germunt die Zähne aufeinander.
     Seine Stirn fühlte sich an, als schnitte ihm jemand mit scharfem Messer Muster hinein.
    »Nun, wir wollen Eure Augen ja nicht füttern, sondern heilen.«
    »Im Moment fühlt es sich eher an, als wolltet Ihr mich umbringen.«
    »Dafür würde ich bis morgen warten, wenn Ihr zum größten Teil in Leinen eingewickelt werdet. Wir tränken es zuvor mit Eiweiß,
     daß es fest wird wie Mauerwerk. Ihr seid praktisch wehrlos.«
    |90| »Wunderbar. Wißt Ihr, ich habe mir schon immer gewünscht, den Händen eines Fremden völlig ausgeliefert zu

Weitere Kostenlose Bücher