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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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sehe! Ich kann sehen!«
    Irgendwann ruckte der rote Kamm eines Huhns neben dem Türpfosten herein. Es legte den Kopf schräg, gab glucksende Laute von
     sich und beäugte eingehend den Lehmfußboden. Dann machte es einen langen Hals nach vorn, sah zu Germunt hinüber, um gleich
     darauf mit einem Flügelschlag nach draußen zu springen.
Nicht nur den roten Kamm, ich habe das ganze Huhn gesehen!
    Odos Salbe hatte gewirkt.
Der Bischof soll sich bloß nicht denken, daß ich jetzt dankbar bin. Ich habe ihn nicht um seine Hilfe gebeten. – Ich werde
     verschwinden, und ich gehe nicht ohne Beute,
beschloß Germunt. Den alten Schwur, nicht mehr stehlen zu wollen, schob er mit aller Macht aus seinen Gedanken.
     
    Odo staunte nicht schlecht, als er am Nachmittag von Germunts offenen Augen erwartet wurde. »Wer hat Euch den Verband abgenommen?«
    |93| »Niemand.« So sah er also aus, der Arzt. Über einer hohen Stirn waren ihm wenige graue, widerspenstige Haare verblieben. Kleine
     Augen lagen geschützt unter buschigen Brauen, in denen sich Schwarz mit Grau mischte. Allein das Äußere schien ihn als guten
     Zuhörer zu verraten: Der Mund war schmal, die Ohren aber faltig und groß.
    »Wie sieht die Welt aus?« Odo lächelte. »Könnt Ihr mich sehen?«
    »Ohne Schwierigkeiten.« Germunt lächelte ebenfalls.
    »Ihr schaut so lebendig, daß es mich fast verleitet, die anderen Verbände ebenfalls zu entfernen.« Der Gelehrte nahm sich
     den Schemel und setzte sich vor Germunts Lager.
    »Hattet Ihr nicht von zehn bis zwölf Tagen gesprochen?«
    »Das ist richtig. Wir müssen uns noch gedulden. Der Knochen wächst nur sehr langsam, und Eurem Körper sind viele Brüche zugemutet
     worden. Ihr scheint aber eine gute Zähigkeit zu haben, wenn Eure Wunden so schnell verheilen.«
    »Möglicherweise.«
    »Sagt, was ist Euer Handwerk in Turin?«
    Etwas an Odos Blick ließ nicht zu, daß Germunt ihn belog. »Ich habe keines.«
    »Verstehe. Verschiedentlich spricht man auch darüber hier am Hof. Es hat sich nach dem Unfall niemand nach Euch erkundigt,
     das ist aufgefallen.«
    Germunt schwieg und sah am Arzt vorbei.
Hoffentlich hat mich niemand mit den drei Gaunern auf dem Weg zur Anlegestelle gesehen.
    »Laßt Euch nicht unterkriegen, junger Mann.« Odo erhob sich. »Ihr habt einige Tage, bis ich Euch die Verbände abnehme. Nutzt
     die Zeit und denkt nach! Ihr scheint einen flinken Verstand zu haben – vielleicht könnt Ihr den Bischof davon überzeugen,
     daß er Euch in seinen Dienst nimmt.«
    Wenn es etwas wie einen Schatzverwalter gibt, nehme ich die Aufgabe gern für einige Tage an,
dachte Germunt.
    |94| Sorgfältig brach er sich frei. Die Eiweißverbände waren spröde geworden und sollten in ein oder zwei Tagen sowieso entfernt
     werden. Noch konnte er unerwartet zuschlagen. Also galt es, im Morgengrauen mit Beute zu verschwinden.
    Er schob die warmen Leinenkrusten beiseite und erprobte seine Glieder. Es roch stark nach der Salbe, die man ihm aufgetragen
     hatte: Kornblumenduft, aber zu streng, zu sauer, um angenehm zu sein. Die Beine gehorchten gut, und auch die Arme ließen sich
     beugen. Nur ein wenig kraftlos schienen ihm seine Bewegungen. Er hatte lange gelegen.
    Vorsichtig erhob er sich und band sich die Wolfsfelle um, die in einer Ecke des Raumes lagen. Es brauchte einige Bahnen Hin-
     und Herlaufens im Raum, bis er sich sicher genug fühlte, um hinauszugehen. Ein frischer Wind blies über den Hof, und Germunt
     sog gierig die kühle Luft in seine Lungen. Er sah hinauf zu den verblassenden Sternen.
Freiheit
, sagte eine Stimme in ihm.
    Dann spürte er, wie die alten Instinkte erwachten. Mit wenigen Schritten erreichte er eine Nische und verschwand in ihrem
     Schatten. Von dort aus prüften seine Eulenaugen jede Fensteröffnung im mondlichtbeschienenen Hof, sahen eingehend nach Wachen
     am Tor oder im Freien angebundenen Pferden, die ihn mit ihrem Schnauben verraten könnten. Sein Blick blieb an einer Gestalt
     hängen, die vor einem kniehohen Zaun am anderen Ende des Hofes stand. Sie schien nicht vorzuhaben, sich in den nächsten Augenblicken
     von dort zu entfernen. Statt dessen kauerte sie sich nieder und streckte ihre Hände über den Zaun hinüber.
    Germunt begann, innerlich zu fluchen. Als ein leiser Ton zu ihm drang, geriet seine Wut ins Stocken. Die Gestalt summte eine
     Melodie. Und da war etwas an diesem Lied und an dieser Stimme, das ihn sanfte Fingerspitzen auf seiner Stirn fühlen ließ.
Stilla!
    Wie an

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