Der Kalligraph Des Bischofs.
»Gehabt Euch wohl.« Er glaubte,
den jungen Mann in seinem Rücken etwas murmeln zu hören. Dann wurde er mit lauter Stimme aufgehalten.
»Wartet.«
»Was ist? Soll ich Euch beraten, an welcher Figur die dickste Goldschicht aufgetragen ist?«
»Wenn ich mich Eurem Unterricht ergeben würde, was müßte ich tun, um Nahrung und Unterkunft zu verdienen?«
Biterolf drehte sich um. »Ihr könntet mir in der Schreibstube behilflich sein. Als erstes würde ich Euch Lesen und Schreiben
lehren, damit Ihr kleinere Schreibarbeiten übernehmen könntet.«
Die beiden maßen sich. Biterolf entdeckte die tiefe Trauer in den Augen des jungen Mannes wieder, die er dort schon einmal
bemerkt hatte. Bedauern ergriff ihn und ließ ihn mit langsamen Schritten auf sein Gegenüber zugehen. Er streckte ihm die Hand
entgegen. »Ich bin Biterolf.«
Der Schreiber spürte die Hand des anderen in seiner. »Germunt.«
»Es wird nicht einfach werden, Germunt. Ihr werdet Euch ein dickes Fell zulegen müssen. Aber wenn ich bedenke, wie Ihr vor
wenigen Tagen noch aussaht und wie Ihr jetzt vor mir steht, dann bin ich guter Hoffnung.«
Als Germunt an diesem Morgen den Raum betrat, den ihm Biterolf in der Dämmerung als Speisesaal gewiesen hatte, beendete ein
glatzköpfiger Mann gerade eine Ankündigung: »… und wird also hierbleiben, um das Trivium und das Quadrivium abzuschließen.«
Alle Blicke richteten sich auf Germunt, dann taten die Dienstleute eilig so, als würden sie sich ganz gewöhnlich unterhalten
und Brot und Käse genießen.
|99| Germunt nahm sich vor, auf keine Bemerkungen zu reagieren, und setzte sich auf den freien Platz neben Biterolf. Wie selbstverständlich
langte er nach einem Brotlaib. Die Stimmen eines kräftigen Bullen und eines etwas schmaleren Blonden auf der anderen Seite
des Tisches kamen ihm bekannt vor.
»Thomas«, der Blonde fuchtelte mit einem Stück Brot, »so kannst du das nicht sagen. Manche Menschen genesen eben schneller
und andere langsamer.«
Der Bulle warf einen listigen, knappen Blick auf Germunt. »Es gibt aber auch die, die nie krank waren, sondern es nur vortäuschten.«
»Thomas, Ato, hört auf.« Biterolf verschluckte sich, hustete. »Ihr habt ihn doch gesehen, als Claudius ihn hierherbrachte.
So etwas läßt sich nicht vortäuschen.«
Ato nickte eifrig. »Ah, der kluge Schreiber erklärt es uns. Danke, Biterolf. Ich hatte das wirklich nicht bedacht. Aber jetzt,
wo du so freundlich darauf hingewiesen hast, all das Blut, natürlich, das läßt sich nicht zum Beispiel von einem geschlachteten
Huhn nehmen, nein.«
»Die Frage ist doch: Ist er lernfähig?« Thomas verdrehte die Augen und ließ die Zunge aus dem Mund hängen. »Ich meine, er
kommt von der Straße, seine Eltern sind Strauchdiebe oder Bettler!«
Germunt stand auf.
Meine Eltern sind mehr, als du dir vorstellen kannst, du armer Hund. Aber du bist es nicht wert, darüber zu streiten.
»Haben wir ihn verletzt?« Ato tat erschrocken.
»Nicht doch, bleibt!« Thomas grinste.
Germunt stützte sich noch einmal mit den Händen auf dem Tisch ab und sah dem Bullen gerade in die Augen.
Der Blonde spottete: »Was für ein furchterregender Blick.« Aber aus dem Gesicht des Kräftigen verschwand das Grinsen.
Während Germunt den Saal verließ, hörte er hinter sich die Stimme des Bullen: »Er wird mich doch nicht umbringen |100| wollen, oder? Will er mich jetzt umbringen? Mit solchen Streunern ist nicht zu spaßen!«
Er fühlte das dringende Bedürfnis, das Gelände zu verlassen und an den Fluß zu gehen.
Es ist nicht für immer,
sagte er sich.
Ich nutze sie aus, ganz, wie es mein Plan ist. Nur auf eine andere Art.
Würde er das Kirchengut stehlen, würde man ihn im ganzen Land verfolgen, und er konnte den eigenen Weinberg vergessen.
Ich werde diese blöde Ausbildung über mich ergehen lassen, aber vor der Weihe zum Geistlichen verschwinde ich mit dem Wissen.
Er lächelte grimmig. Ich stehle Wissen. In irgendeiner Stadt mache ich mich selbständig als Schreiber, arbeite ein paar Jahre,
und dann kaufe ich mir den besten Südhang in ganz Italien.
Als Germunt Stilla am kleinen Zaun sah, stockten seine Gedanken.
Sie trug ein helles Leinenkleid, und auf ihren Schultern lag ein Tuch von grauer Farbe, das wohl den Kopf bedeckt hatte, denn
es fiel, wie eine Kapuze gefaltet, den Nacken herab. Dunkelblondes, langes Haar war sichtbar. Es bog sich ein wenig, dort,
wo es unter das Tuch tauchte. Das
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