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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Tageslicht offenbarte ihre Züge ungeniert, den feinen Schatten unterhalb der Wangen, die
     Schultern, die Hände. Sie so unverfroren anzuschauen kam Germunt wie ein Frevel vor, als würde es sie beschädigen. Ihre geöffneten
     Augen machten ihm angst. Sie sah fremd aus. War sie das nicht auch? Was hätte er ihr sagen können? »Wir kennen uns. Ihr habt
     mir vor ein paar Wochen die Stirn mit einem Tuch gekühlt.« Unsinn. Und trotzdem wünschte er sich, neben ihr zu stehen und
     mit ihr zu reden.
    Während er sie betrachtete, stieg ein leiser Gesang in Germunts Erinnerung auf. Ein friedliches Lied, eine lockende, warme
     Tonfolge. Mit dieser Stimme würde sie sprechen, mit derselben Stimme, die so wunderbar gesungen hatte. Langsam lief er zu
     ihr, auch wenn ihm die Knie weich wurden.
    Germunt räusperte sich. »Kräutergarten?«
    »Ihr wart heute morgen schon einmal da, richtig?«
    |101| Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Woher wußte sie, daß er das gewesen war?
    »Jeder Mensch hat einen anderen Schritt.«
    »Verstehe.«
    Sie schwiegen.
    »Ihr seid gerne hier?« Germunt sah über das Kräutergärtlein. Dahinter standen einige Obstbäume.
    »Ich rieche an den Pflanzen. Kann sie ja nicht sehen, aber der Geruch verrät so viel. Ich bin blind, und sie sind stumm –
     vielleicht verbindet uns das. Ihr werdet bleiben, nicht wahr? Biterolf wird Euch unter seine Fittiche nehmen.«
    »Ich denke es.«
    »Er ist ein guter Mann, Ihr könnt ihm vertrauen. Als ich hierherkam, hat er den geizigen Bischof überredet, mich aufzunehmen.
     Das war Claudius’ Vorgänger.«
    »Biterolf ist schon lange in den Diensten der Turiner Bischöfe, richtig?«
    »Ja.«
    »Ist er ein strenger Lehrer?«
    »Ich weiß nicht.«
    Wieder schwiegen sie. Germunt schaute über den Hof. Er wollte ungern gesehen werden, wie er hier mit Stilla sprach. Sicher
     würde man darin neuen Grund für Spott finden. Trotzdem konnte er sich nicht von ihr losreißen. »Seid Ihr von Geburt an blind?«
    Jetzt drehte sie sich zu ihm. Ihr leerer Blick traf ihn nicht in den Augen, aber im Gesicht. »Ja.«
    »Was ist mit Euren Eltern?«
    »Sie sind tot.«
    »Das tut mir leid.« Germunt spürte ein merkwürdiges Verlangen, dem jungen Mädchen etwas zu schenken, ihr etwas Fröhlichmachendes
     zu sagen, sie irgendwie zu erfreuen.
    Ihre Frage traf ihn unvorbereitet. »Und Eure Eltern?«
    Er stotterte. »Bauern. Sie sind … Bauern. Sie leben nördlich von Turin, in den Bergen, wißt Ihr? Das ist der Grund, warum
     sich niemand nach mir erkundigt hat. Sie kommen |102| nur sehr selten in die Stadt.« Er hörte sich reden und haßte sich für das, was er sagte.
    Wenn Stilla fühlen konnte, daß er log, dann verbarg sie es hervorragend. Sie nickte und strich mit der Hand über ihren linken
     Unterarm, dabei den weiten Ärmel des Kleides ein Stück zurückschiebend. Das Hemd, das sie darunter trug, lag sehr eng am Arm
     an. »Das ist doch gut so, sie hätten sich sicher furchtbar um Euch gesorgt, als Ihr so schwer verletzt wart. Man hat nicht
     sagen können, ob Ihr überlebt.«
    »Ja, es ist gut, daß sie es nicht erfahren haben.«
    »Biterolf kommt.«
    Germunt drehte sich um und sah den beleibten Notar aus der Tür des Küchen- und Speisehauses treten. »Das habt Ihr gehört?«
    »Es ist nicht schwer zu erraten, wer vor dem Ende der Mahlzeit den Speisesaal verläßt.«
    Kaum hatte der Schreiber die beiden erreicht, streckte er seine Hände nach der Blinden aus. »Stilla, mein Kind, bist du wohlauf?«
    »Ja, Vater.«
    Er sah Germunt an. »Hört, Ihr dürft Euch von Ato und Thomas nicht ärgern lassen. Mich verspotten sie seit Jahr und Tag. Es
     wird nie besser werden mit ihnen. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sie zu ignorieren.«
    »Ich sehe einen Unterschied zwischen Spott und Beleidigung.«
    Stilla bewegte erstaunt ihren Kopf, und Biterolf maß Germunt kritisch. »Ihr seid ein rechter Heißsporn. Vielleicht tut es
     Euch ganz gut, mal ein wenig zu üben, Euer Pferdegespann im Zaum zu halten.«
    »So, das täte mir gut … Und was ist mit den zwei Spöttern? Würde es ihnen nicht guttun, ihre Mäuler einmal stillzuhalten?
     Das sollten sie üben.«
    »Das hätten sie sicher nötig. Aber man kann immer nur für sich sprechen, nicht wahr? Ihr arbeitet an Eurer Christlichkeit, |103| und sie an der ihren. Kommt, Germunt.« Biterolf schob den jungen Mann voran. Nicht unsanft, aber eine Winzigkeit zu hart für
     eine freundliche Geste. »Gehen wir in die

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