Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Fäßchen ein. Nicht zu tief!«
    In der Hand die vorn tiefschwarze Feder, fühlte sich Germunt, als würde er das erste Mal schwimmen gehen, zum ersten Mal Wasser
     spüren. Ein warmer, freudiger Schauer überlief ihn.
    »Rührt vorn nur sanft an das Pergament. Eure Hand soll dabei schweben und nicht faul über das Pult schleifen. Und nun schreibt
     ein ›T‹. Ihr wißt doch noch, wie es ging? Ein ›T‹ wie in ›Turin‹.«
    Germunt malte den Balken, der von oben nach unten zeigen sollte. Ganz nah ging er mit den Augen an das Pergament heran und
     beobachtete, wie die Tinte eine schwarze, dicke Spur hinterließ. Sie glänzte und lag wie ein länglicher Tropfen auf der Tierhaut.
     Dann wurde sie langsam aufgenommen, aufgesaugt, und formte einen sauberen Strich. Der |106| Querbalken, den er nun ansetzte, floß als dünnes Haar aus der Feder.
    »Sehr gut«, lobte der Notar. »Wenn Ihr den Kiel richtig haltet, müssen Linien, die wie ein Baum aufrecht stehen, dick sein.
     Die Linien aber, die wie der Horizont quer liegen, müssen feine, dünne Striche werden.«
    Germunt richtete sich auf. »Ich will lernen, wie man ›Tu rin ‹ schreibt.«
    »Da fehlen Euch aber noch einige Buchstaben. Ihr kennt erst zwei davon.«
    »Ich will es lernen. Bitte.« Er fühlte, daß seine Augen naß waren. Im Hals drückte es, irgend etwas war da.
    »Gut, wie Ihr wollt. Aber warum?«
    »Es ist …«
Es ist, als würde ich auf dem Pergament die Stadt neu errichten. Indem ich ihren Namen schreibe, steht ihr Bild jedem vor
     Augen. Diese dünnen und dicken Tropfen, diese Striche, sie sind ein Wunder!
»Weiß ich nicht, einfach so.«
    »Seht her, ich schreibe Euch das Wort auf. Für heute dürfen die Buchstaben so auseinandergestellt sein. Später müßt Ihr sie
     nah aneinanderrücken.« Biterolf schrieb.
    Tu-rin. Tur-in. Wie auch immer sich Buchstaben auf das verteilten, was er als den Stadtnamen kannte, dieser Schriftzug erschien
     Germunt wie ein Gebet, ein mächtiger Ruf, der ihm die Welt erschloß. Bis es dunkel wurde und seine Finger ganz fleckig von
     Tinte waren, übte er, ihn zu schreiben.
     
    Es kamen andere Tage. Stunden, in denen er Pergament haßte, Tinte haßte, jede Feder am liebsten in der Faust zerdrücken wollte.
     Mühsam war es, zu lernen, das Alphabet zu beherrschen, und ihm brannte oft der Rücken vom langen Stehen am Pult.
    Wieder einmal dachte er angestrengt darüber nach, was er sagen könnte, um Biterolf für einige Stunden zu verlassen. Finstere
     Wolken machten den Tag zur Nacht. Ein Sturmwind |107| peitschte Regenschauer gegen die Hauswände, und mitunter blies der Wind so heftig durch die Tür- und Fensterritzen, daß Biterolfs
     Talglicht verlosch und sie beide im Dunkeln saßen, bis der Notar es wieder entzündet hatte.
    »Biterolf, ich gehe nur rasch nach draußen, es klang gerade so, als hätte jemand gerufen.«
    Der Notar seufzte.
    Germunt drückte die Tür gegen den Sturmwind auf. Im Raum wurde es dunkel. »Verzeihung«, rief Germunt und ließ die Tür hinter
     sich zufallen. Ein furchtbares Wetter: Giftig-gelbe Adern fuhren wie Finger zwischen das Schwarz der Wolken; beinahe gruselte
     es Germunt beim Anblick des fahlen Widerscheins von den Mauern. Er wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und sah zum
     Kräutergarten hinüber. Natürlich war Stilla nicht dort, wer war an diesem Tag schon im Freien? Die Obstbäume ruderten wild
     mit den Ästen, als wollten sie das Unwetter vertreiben.
    Da trat Thomas aus der Kellertür. Er stützte sich mit den starken Armen am Türpfosten ab und schrie: »Der geheime Reider wird
     aber nich gut ankomm, bei diesem Wedder!« Er machte einen wankenden Schritt nach vorn. »Ach, Germunt. Geheim, du weiß davon
     nischt! Dir sacht man das nich, weiß du?« Ein plätscherndes Lachen folgte. »Claujus is mit’m Kaiser befreundet. Schon imma.
     Un nu hat er einen Boten hingeschickt, der soll ihm das Marktrecht verschaffen, un nich nur das! Er will dem Grafen auch die
     Zölle wegnehmen. Die Lango… Lango… Langobabaren sollen dann wenijer besahlen, wenijer Zölle, und …«
    Thomas schlug sich plötzlich mit den Händen auf die Knie. »Zölle.« Er wieherte. »Zölle! Is das nich ein dolles Wort? Zölle.«
     Eine unsichtbare Kraft zog ihn nach hinten, so daß er auf sein Gesäß fiel. Der Kellermeister lachte in hohen Tönen. »Zölle.
     Zölle. Nich zu fassen!«
    »Was ist los?« Biterolf kam hinter Germunt aus der dunklen Schreibstube.
    |108| »Thomas scheint

Weitere Kostenlose Bücher