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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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trocken, Germunt mußte im
     Schlaf geschnarcht haben. Wo die Fackel gebrannt hatte, sah man jetzt nur noch einen glühenden Stumpf im Dunkel. Germunt wollte
     im Fensterloch nach |162| dem Himmel schauen, aber es stand jemand davor: Eine weiße Kapuze war im Fackelglühen auszumachen. Theodemir. Warum schlief
     er nicht?
    Neben ihm stand einer der Mönche. Sie sprachen gedämpft miteinander.
    »Ich habe das Buch an den kaiserlichen Hof gesandt. Es gibt einige Merkwürdigkeiten in Claudius’ Lehre, die dort von anderen
     Bischöfen geprüft werden.«
    »Schreibt Claudius nicht, die Bilder in den Kirchen sollen Götzen sein?«
    »So ist es. Natürlich haben die Bilder nichts Göttliches. Wir verehren sie, um den zu achten, dem sie gleichen. Es ist einfacher
     als Winterschnee, aber mein hochgebildeter Lehrmeister kann es nicht begreifen. Er hat sich verrannt, und zwar gefährlich
     verrannt.«
    Germunt fühlte sich, als umschlösse ein eiserner Ring seine Brust. Claudius hatte sicher nicht die leiseste Ahnung, daß sein
     Schüler so über ihn redete.
    »Vielleicht würde ich darüber hinwegsehen, wenn das alles wäre. Aber er greift auch den Sinn der Reliquien an, macht die Pilgerfahrten
     ins Heilige Land schlecht. Ich kann es nicht verstehen, wie ein so kluger Mann so widerwärtige Dummheiten ausbrütet.«
    »War er nicht Euer Lehrer?«
    »Ja, das ist richtig. Man wird es mir nachsehen.«
    Eine Weile standen die beiden Männer schweigend vor dem Fensterloch. Genauso schweigend liefen sie schließlich in den Raum
     hinein und legten sich auf ihre Strohsäcke nieder. Germunt starrte ins Dunkel.
Wenn ich die Lage richtig einschätze, dann ahnt Claudius nichts, wirklich gar nichts. Ich werde ihm Bericht erstatten.
Lange lag er noch wach, obwohl es ihm schwerfiel, einen klaren Gedanken zu fassen.
     
    Germunt öffnete erneut die Augen. Der Fackelstumpf hing kalt und schwarz in seiner Halterung, und das graue Licht der Morgendämmerung
     fiel durch das Wandloch in den |163| Schlafsaal. Draußen bei den Pferden waren Stimmen zu hören, das Knarren von Leder und das Stampfen von Hufen. Die Strohsäcke
     rechts und links von ihm waren leer. Er richtete sich auf. Warum war er nicht aufgewacht?
    Er griff sein Bündel und schob die Tür zum Schankraum auf. An der großen Tafel saß Theodemir, über ein Pergament gebeugt,
     in seiner Hand eine Feder. Ein kleines Licht flackerte neben ihm und erzeugte einen Widerschein auf dem Bronzefäßchen, in
     das der Abt seine Feder tauchte. Endlich warf er die Feder von sich und blies über das Schriftstück.
    »Meine Leute sind jeden Moment abreisefertig.« Der junge Mann hob den Kopf. »Werdet Ihr diesen Brief Claudius überbringen?«
    Germunt nickte erstaunt. »Ihr habt ihn mit eigener Hand geschrieben?«
    »Spricht etwas dagegen?« Der Abt lächelte und erhob sich. »Ich schicke meinen Kanzler zum Siegeln herein. Gehabt Euch wohl.«
     
    Wenn Germunt in den nächsten Tagen an die Begegnung im Gasthaus zurückdachte, schüttelte er immer wieder den Kopf. Zu gern
     würde er den Brief öffnen, den er in seinem Bündel trug, und erfahren, was Theodemir geschrieben hatte. Stand etwas über ihn
     auf dem Pergament? Oder war es ein belangloses Plaudern, um den Bischof hinzuhalten, während sein Buch am Kaiserhof geprüft
     wurde? Es drängte ihn, ohne Verzögerung umzukehren und Claudius zu warnen, aber die Verbannung war befohlen, und er wagte
     nicht, sich zu widersetzen.
    Germunt war anfangs dankbar gewesen, keinem Herrn mehr hinterherreisen zu müssen, und vermutete, daß sich der Weg nun einfacher
     gestalten würde. Bald aber erschienen ihm die Tage im Süden wie ein Märchen, verglichen mit der beschwerlichen Reise nach
     Tours.
    Die Sprache der Bauern, die er nach der Straße fragte, erinnerte |164| ihn an seine Kindheit. Es war das weiche Romanisch, das auch die meisten Menschen am Hof des Vaters gesprochen hatten. Nur
     die hochgestellten Gefolgsleute und der Familienkreis hatten Westfränkisch gesprochen. Das waren die Eroberer, die Herrscher,
     die mit ihren Schwertern aus der Ferne gekommen waren und die Einheimischen nun für sich arbeiten ließen. Germunt wußte nicht,
     ob er sich als Eroberer oder als Besiegter fühlen sollte. Eigentlich hatte er die Bediensteten, die Mägde und Handwerker und
     Knechte und Bauern gern gemocht. Fränkisch war ihm wohl in die Wiege gelegt worden, und Romanisch liebte er, weil es ihm erlaubte,
     mit den Menschen zu plaudern. Nur Latein, das

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