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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Norden, da der Abt die Ländereien
     des Klosters besuchte; er schien ihn jedoch verpaßt zu haben, denn nach einigen Tagesreisen sandten ihn Befragte wieder gen
     Süden. Indem er vom Morgengrauen bis zum Abend wanderte, kam Germunt dem Gesuchten näher. Eines Abends schließlich holte er
     ihn in einem Gasthaus am Ufer der Rhône ein. Nie hätte er sich den jungen Abt so vorgestellt.

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    |157| 12. Kapitel
    Germunt hatte sich in der Abenddämmerung von einem Fährmann übersetzen lassen und freute sich auf eine Mahlzeit in dem langgestreckten,
     großen Gasthaus. Es schien beliebt zu sein, denn unter dem freien Dach an einer Gebäudeseite standen die Pferde dicht an dicht,
     und die Stimmen vieler Menschen drangen aus dem Haus.
    Gleich als er eintrat, fiel ihm der junge Mann ins Auge. Man hatte für ihn und seine Leute mehrere Tische in einer Hälfte
     des Raumes zusammengeschoben, und wie einzelne Bäume auf einer Ebene standen Becher und Bierkrüge auf der großen Tischfläche
     verstreut. Um sie herum hatte sich ein gutes Dutzend Männer in braunen Kutten niedergelassen, aus denen der junge Mann hervorleuchtete
     wie ein König unter Bettlern.
    Er trug einen weißen Umhang mit Kapuze, der vor seiner Brust von einer goldenen Spange zusammengehalten wurde. Zwei goldgestickte
     Kreuze glitzerten im Fackelschein auf dem hellen Leinenstoff. Die winzigen dunkelblonden Locken auf seinem Haupt mußten erst
     kürzlich von einem Barbier gekürzt worden sein, denn sie lagen fest an und glänzten wie das Fell eines teuren Jagdhundes.
     Unterhalb der wäßrig-grauen Augen waren seine Wangen gerötet, vielleicht unter dem Einfluß der genossenen Getränke. Alle Gesichter
     waren ihm zugewandt, und er sprach mit der Geste von Überlegenheit.
    Obwohl Germunt allen Grund hatte anzunehmen, daß er Abt Theodemir vor sich sah, wollte er nicht in die Begegnung hineinstolpern.
     Er freute sich auf eine herzliche Begrüßung, doch hielt er sich zurück, um den Übergang |158| vom bedeutungslosen Wanderer zum geschätzten Gast bewußt genießen zu können. Und dann war da noch ein ungutes Gefühl irgendwo
     tief unter all der Vorfreude, das sich seit dem Betreten des Gasthauses bemerkbar machte und zur Vorsicht mahnte. So suchte
     er sich einen Platz in der Mitte der Schenke, von wo aus er hoffte, etwas von der Rede des Abtes hören zu können.
    Das zwischen den Leuten hin- und herlaufende Mädchen fragte ihn nach seinem Begehr, und er bat um Wein und Brot. Als sie verschwunden
     war, richtete ein Mönch, der dicht bei Germunts Tisch saß, das Wort an den Lockigen.
    »Ehrwürden, meint Ihr nicht, man kann das Grundstück tauschen?«
    Der junge Mann lächelte. »Das haben wir gar nicht nötig. Kaiser Ludwig hat mir weitere Landgeschenke versprochen. Vergeßt
     auch nicht die Einnahmen aus Saint-Saturnin de Nodels, die noch ausstehen! Aber warum reden wir nicht von etwas anderem und
     klären die Sache, wenn wir zurück in Psalmody sind?« Er führte einen Becher an seinen Mund.
    Eindeutig, das war Theodemir. Germunt hob sein Bündel auf den Schoß und fingerte darin nach dem Brief von Claudius.
Der wird gleich Augen machen!
    Gerade wollte er aufstehen, um zu dem jungen Mann hinüberzugehen, da erhob sich ein grauhaariger, älterer Mönch. Der Abt stellte
     laut schallend seinen Becher ab. »Wohin gehst du?«
    »Nach den Pferden sehen.«
    »Wirklich?« Die Stimme des jungen Mannes klang hart. Zögernd spielte Germunt mit dem Brief in seinen Händen.
    »Ja, Ehrwürden.«
    »Und du gehst dich nicht erleichtern?«
    »Doch, Ehrwürden.«
    »Also hast du mich angelogen.«
    »Nein, Ehrwürden. Ich gehe mich bei den Pferden erleichtern.«
    |159| Der junge Abt schlug seine Faust auf den Tisch. »Verdammt, halte mich nicht zum Narren!«
    Während eine Schankmaid den Becher des Abtes auffüllte, stand der Mönch schweigend da und sah auf seine Hände hinab.
    Kaum war die Magd gegangen, bellte der junge Mann erneut: »Du hältst dich wieder einmal für klüger, für erfahrener als mich,
     nicht wahr?«
    »Nein, Ehrwürden.«
    »Verschwinde.«
    Germunt versuchte, in das Gesicht des Mönches zu sehen, als er an ihm vorbeiging. Es wirkte ruhig, beinahe geduldig. Einige
     andere Mönche sahen ihm hinterher, Mitleid in ihren Zügen.
    War das der junge Mann, dem sich Claudius so freundschaftlich verbunden fühlte? Zögerlich erhob sich Germunt, nahm seinen
     Stock und humpelte an den großen Tisch. Er neigte sich zu einem der Mönche hinab und

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