Der Kalligraph Des Bischofs.
seinen Augen grau.
»Bin ich wirklich geschwommen?« Das war die Stimme des Blinden. Germunt hielt die Augen geschlossen. Sein gesamter Körper
schmerzte dumpf, aber er wurde langsam warm.
»Nun, es sah danach aus. Der junge Mann, der mit Euch im Boot saß, hätte ohne Eure Hilfe sicher nicht überlebt. Als wir Euch
aus dem Wasser zogen, hieltet Ihr ihn fest umklammert, während er bewußtlos war.«
Da waren Geräusche von eintauchenden Rudern. Germunt spürte eine klamme, kratzige Wolldecke auf seinen Schultern.
»Ich hatte eher das Gefühl, als sei es umgekehrt. Nun, vielleicht haben wir uns gegenseitig gerettet.«
|173| »Der Herr tut Wunder. Vergeßt nicht, es ist Ostersonntag.«
»Ja, Herr Bischof.«
Bischof?
Germunt öffnete die Augen einen winzigen Spalt. Er saß in einem Kahn, der von sechs Männern gerudert wurde. Einen Schritt
von ihm entfernt stand ein Mann in knöchellanger Albe, über den Schultern das bestickte Rund eines festlichen Leinenkasels.
Sein Gesicht war von Fett angeschwollen. Wenige Haare waren in die Stirn gestrichen, und die Augen blickten klein und spöttisch.
»Euer Freund erwacht.«
Langsam setzte Germunt sich auf. »Ihr seid der Bischof von Tours?«
»Das bin ich. Und wen habe ich da mit Gottes Hilfe aus dem Wasser gefischt?«
»Mein Name ist Germunt, ich bin –«
»Es ist zwar meine heilige Pflicht, Menschen zu retten, aber wieviel größer ist doch die Freude, wenn es am Ostersonntag geschieht.
Mein Sohn, Ihr seid Zeuge eines Wunders geworden. Was rede ich, Zeuge – Ihr seid Teil des Wunders!«
Germunts Blick fiel auf einen Ring aus rotem Gold an der Hand des Bischofs. Er weckte Erinnerungen, die ihm nicht lieb waren.
Gern hätte er ihn dem Kirchenmann vom Finger gezogen und ihn in den Fluß geworfen. Warum trugen Menschen so reizvolle Güter
offen mit sich herum? War das nötig?
»Wir sind gleich am Ufer«, sagte der Bischof in väterlichem Ton. »Ihr könnt die Kutten anbehalten, die man Euch angezogen
hat. Eure Kleider sind noch naß, und sie sind auch recht zerschlissen.«
»Habt Dank«, rief der Blinde aus.
Germunt spürte ein Würgen in seiner Kehle. Er mußte wohl auch etwas sagen, um den Bischof nicht zu kränken. »Wie heißt dieser
Fluß?«
»Es ist die Loire. Seid Ihr von fern hergereist?«
|174| Germunt senkte seine Stimme und wog die Worte aus. »Ich gehöre zu Claudius, dem Bischof von Turin.«
»Tatsächlich?« Es lag kein Wohlwollen in der Stimme. »Ist er nicht mit Ludwig befreundet, unserem Kaiser?«
»Mag sein.«
»Aber er hat merkwürdige Ansichten. Mit Claudius wird es einmal ein böses Ende nehmen. Mir scheint, er will die guten Bahnen
der Kirche verlassen.« Germunts verwirrten Blick erwiderte der Bischof mit einem abwiegelnden Handzeichen. »Davon versteht
Ihr nichts. Es sind einige Lehren der Gotteskirche, denen er sich nicht fügen will.«
Die Ruderer erhoben sich und sprangen von Bord, um das Boot auf den Ufersand zu ziehen.
»Um so erfreulicher, daß Ihr nach Tours gekommen seid, um Euch der Schar der Gläubigen anzuschließen. Schaut Euch nur gut
um bei uns. Hier findet Ihr wirkliche Ehrung der Heiligen. Daß der heilige Martin in Tours besonders wirkt, konntet Ihr ja
heute bereits merken.« Ohne auf eine Antwort zu warten, stieg der Bischof aus dem Boot, und als der Blinde und Germunt ebenfalls
ausgestiegen waren, legte der Bischof ihnen die Arme über die Schulter, sie ganz nah an seinen umfangreichen Körper heranziehend.
Den einen rechts, den anderen links, zog er die beiden mit sich zur Volksmenge, die neben einigen Hütten vor einer Höhle in
der Kalkwand wartete. »Ihr guten Männer und Frauen, unser heiliger Martin hat heute auf wundersame Weise zwei Menschenleben
gerettet. Ihr Boot sank, sie waren am Ertrinken, aber da warnte er mich und gebot mir, mit meinem kleinen Schiff umzukehren.
Wieder einmal sehen wir, wie der Heilige unsere Stadt schützt. Bekennt eure Sünden! Sankt Martin ist unser Fürsprecher beim
Gottvater. Und er hat mich erwählt, ein Wunder geschehen zu lassen, denn während Sankt Martin unser Fürsprecher bei Gott ist,
bin ich Euer Fürsprecher beim Heiligen, ich, Euer Hirte und Bischof.«
Mühsam wand sich Germunt aus dem Griff des Bischofs. Die Menge starrte, als sei ihnen ein Engel erschienen.
Sicher,
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Gott hat mir geholfen, die Reise ist gut geglückt. Sünden …?
Er spürte, wie ein Gedanke in ihm Gestalt annehmen wollte, und schüttelte
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