Der kalte Hauch der Angst
du siehst ihre aufgerissenen Augen, ihren vor Schmerz aufgerissenen Mund, und du, du drückst das Messer immer noch tiefer in ihren Bauch. Du bist unerbittlich, Sophie. Sie fängt an zu brüllen. Um sie zum Schweigen zu bringen, ziehst du das Messer heraus â es ist bereits voller Blut, sieh doch, wie schwer es nun ist â und stichst noch einmal zu. Sophie, man muss dir Einhalt gebieten â¦Â«
Doch während er das sagt, stöÃt er immer wieder mit Sophies Arm in die Luft. Mit der anderen Hand kann Sophie sein Handgelenk packen, aber Frantz ist zu stark, nun schreit sie, zappelt, versucht ihre Knie anzuziehen, aber keine Chance, es ist, als würde ein Kind gegen einen Erwachsenen kämpfen â¦
»Dich kann also nichts aufhalten?«, fährt Frantz fort. »Einmal, zweimal, und wieder und noch mal, immer wieder stichst du zu, wieder und wieder, und gleich wirst du mit dem Messer in der Hand aufwachen, und Véronique wird in einer Blutlache neben dir liegen. Wie kann man nur so etwas tun, Sophie! Wie kann man weiterleben, wenn man zu einer solchen Tat fähig ist?«
Es ist kurz nach zwei Uhr nachts. Seit einigen Tagen schläft Sophie dank eines brisanten Cocktails aus Vitamin C,Koffein und Glukuronsäure nachts nur wenige Stunden. Um diese Uhrzeit schläft Frantz ganz tief. Sophie sieht ihn an. Dieser Mann hat ein energisches Gesicht; selbst wenn er schläft, strahlt er groÃe Kraft und einen starken Willen aus. Sein Atem, der bislang sehr langsam ging, ist jetzt unregelmäÃiger. Er stöhnt im Schlaf, als wäre es ihm peinlich zu atmen. Sophie ist nackt, sie friert ein bisschen. Sie verschränkt die Arme und blickt ihn an. Sie hasst ihn still. Sie geht in die Küche. Dort führt eine Tür in eine Kammer, die man hier, warum auch immer, »Trockenraum« nennt. Nicht mal zwei Quadratmeter, eine kleine Ãffnung nach drauÃen, Sommer wie Winter ist es dort kalt; man verstaut hier alles, was anderswo keinen Platz findet. In der Mitte ist der Müllschlucker. Sophie öffnet leise die Klappe, schiebt ihre Hand weit hinein und fasst nach oben. Sie zieht eine durchsichtige Plastiktüte heraus, die sie schnell öffnet. Sie legt eine kurze Spritze und einen Flakon mit einem Serum auf den Tisch. Die Tüte mit den restlichen Mitteln legt sie wieder in die Klappe des Müllschluckers und macht vorsichtshalber ein paar Schritte Richtung Schlafzimmer. Frantz schläft noch immer tief, schnarcht leise. Sophie macht den Kühlschrank auf, holt den Viererpack Joghurtdrinks heraus, die nur Frantz trinkt. Die Nadel der Spritze dringt in die weiche Kapsel, es bleibt nur ein klitzekleines Loch, das unter dem Deckel nicht zu sehen ist. Nachdem sie alle vier Joghurts gespritzt hat, schüttelt sie die Becher, damit sich der Inhalt schneller vermischt, und stellt sie wieder an ihren Platz. Kurz darauf ist auch die Plastiktüte wieder aufgeräumt, und Sophie schlüpft ins Bett. Allein die Berührung mit Frantzâ Körper verursacht ihr unbeschreiblichen Ekel. Sie würde ihn am liebsten im Schlaf umbringen. Zum Beispiel mit einem Küchenmesser.
Nach Frantzâ Vermutungen müsste Sophie zehn Stunden schlafen. Das reicht bei weitem aus, damit alles klappt. Wenn nicht, müsste er später einen neuen Versuch starten, aber er ist so aufgeregt, dass er diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht ziehen will. Mitten in der Nacht braucht er nur knapp drei Stunden bis Neuville-Sainte-Marie.
Die Nacht verspricht Regen. Das wäre ideal. Frantz hat das Motorrad am Rand des Wäldchens abgestellt, also so nah, wie er sich nur vorwagen kann. Kurz darauf wird er gleich von zwei günstigen Umständen empfangen: Auverneys Haus ist dunkel, die ersten Regentropfen fallen. Frantz stellt seine Sporttasche ab und zieht schnell seine Kombi aus, unter der er einen bequemen Jogging-Anzug trägt. Er schlüpft in seine Turnschuhe und macht die Tasche wieder zu, dann geht er den kleinen Hügel zwischen dem Wäldchen und Auverneys Garten hinunter. Mit einem Satz ist er über das Tor gesprungen. Kein Hund; das weià er. Als er am Scheunentor ist, geht im oberen Stock hinter einem Fenster Licht an. Es ist Auverneys Schlafzimmer. Frantz drückt sich ans Tor. Auverney kann ihn nicht sehen, es sei denn, er kommt in den Garten. Frantz schaut auf die Uhr. Fast zwei Uhr nachts. Er hat noch Zeit, ist jedoch ganz schrecklich
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