Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
auf. Vielleicht ist sie ja nicht mal allein. Ich möchte doch nur…«
»Nein, mach ich nicht. Viel zu riskant. Ist mir egal, was du sagst.« Jerry wich von dem Wagen zurück.
»Wohin gehst du?«
»Ich brauch frische Luft.«
»Stell dich nicht so an, Jer. Mein Gott, wann wirst du endlich erwachsen?«
»Nicht mit mir.« Mehr fiel Jerry nicht ein. Dann drehte es sich um und rannte los.
26
Rebus ging in der Wohnung umher. Er hatte den Grill eingeschaltet und wartete darauf, dass das Ding endlich heiß wurde. Käsetoast: das einsamste Essen der Welt. Ein Gericht, das auf keiner Speisekarte erschien, nie lud man Freunde dazu ein. So einen Fraß aß man nur allein. Ein kleiner Ausflug zum Küchenschrank: Jedenfalls ein paar Scheiben Toastbrot waren noch da. Dann holte er Margarine und Käse aus dem Kühlschrank. An einem solchen Winterabend ging es einfach nicht ohne eine warme Mahlzeit.
Toast mit Käse.
Er ging wieder in die Küche und schob das Brot in den Grill. Dann schnitt er ein dickes Stück Cheddar ab. Er musste an einen alten Werbespruch denken:
Cheddar aus Schottland, das ist's, was uns gefällt., Cheddar aus Schottland, der beste auf der Welt.
Im Wohnzimmer lief eine frühe Bowie-Scheibe: »The Man Who Sold The World«. Ja, das ganze Leben war ein einziges Geschacher. Täglich irgendwelche Geschäfte mit Freunden, Feinden, Fremden – und immer gab es einen Gewinner und einen Verlierer –, das Gefühl, sich einen Vorteil verschafft oder einen Verlust erlitten zu haben. Vielleicht verkaufte ja nicht unbedingt jeder die ganze Welt, aber irgendwas verkloppte schließlich jeder, irgendeine Vorstellung von sich selbst. Als Bowie von einer Begegnung auf einer Treppe sang, musste Rebus sofort an Derek Linford denken, den er in einem Treppenhaus erwischt hatte: ein Voyeur oder bloß ein armes Würstchen? Auch Rebus selbst hatte in jüngeren Jahren schon verdammt merkwürdige Dinge gemacht. Einmal hatte ein Mädchen mit ihm Schluss gemacht, und er hatte die Eltern angerufen und ihnen erzählt, dass sie schwanger sei. Dabei hatten sie nicht einmal miteinander geschlafen. Er stand am Fenster und sah auf die Wohnungen gegenüber. Hinter einigen Fenstern brannte noch Licht. All diese fremden Menschen. Gegenüber wohnte eine Familie mit zwei Kindern: einem Mädchen und einem Jungen. Er hatte sie schon oft gesehen. Deshalb hatte er sie unwillkürlich gegrüßt, als er ihnen an einem Samstagvormittag mal unten im Zeitungsladen über den Weg gelaufen war. Die Kinder waren ohne ihre Eltern dort. Sie hatten sich an ihm vorbeigedrückt und ihn bloß misstrauisch beäugt, während er ihnen umständlich erklärte, dass er doch bloß ein Nachbar war.
Lasst euch nie von fremden Leuten ansprechen: Genau das Gleiche hätte er ihnen auch geraten. Sicher war er ihr Nachbar, aber er war auch ein Fremder. Die anderen Leute hatten ihn merkwürdig angesehen, wie er da mit seiner Tüte Brötchen, seiner Zeitung und seiner Milch auf dem Gehsteig stand. Die Kinder waren immer mehr vor ihm zurückgewichen, und er hatte zu ihnen gesagt: »Ich wohne gleich gegenüber von euch! Ihr müsst mich doch kennen!«
Natürlich kannten sie ihn nicht. Sie waren mit ihren Gedanken ganz woanders, lebten in einer völlig anderen Welt. Vielleicht war er seither für sie der »böse Onkel von nebenan«, der ganz alleine lebt.
Ja, die Welt verkaufen? Dabei konnte er sich noch nicht mal selbst richtig verkaufen.
Aber so war Edinburgh nun einmal: reserviert, selbstbezogen, ein Ort, wo es passierte, dass man selbst mit dem nächsten Nachbarn nie auch nur ein Wort sprach. Von den sechs Wohnungen auf Rebus' Etage gehörten nur drei den Bewohnern selbst. Die übrigen waren an Studenten vermietet. Er hatte nicht mal gewusst, wem sie gehörten, bis er einmal ein Schreiben wegen einer Dachreparatur erhalten hatte. Die Besitzer wohnten ganz woanders. Einer sogar in Hongkong.
Vor einiger Zeit hatte in einem Haus irgendwo in Dairy sogar ein Wohnungsbesitzer gegen einen anderen geklagt, weil der nicht bereit gewesen war, einen Kostenvoranschlag abzuzeichnen. Ja, so war Edinburgh nun einmal: reserviert, selbstbezogen und aggressiv, wenn einem jemand in die Quere kam.
Bowie sang inzwischen seinen Song »Changes«. Auch Black Sabbath hatten ein Lied mit diesem Titel gemacht, so eine Art Ballade. Ozzy Osbourne sang darin: »I'm going through Changes«. Ich auch, Kollege, hätte Rebus beinahe laut gesagt.
Er ging zurück in die Küche, drehte die Toastscheibe um
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