Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Schwerpunktprogramm der durch die Bundesregierung betriebenen politischen Bildung in der Bundeszentrale für Heimatdienst. Es sollte gegen eine angeblich besondere Anfälligkeit von Intellektuellen für linke Ideen vorgehen. 82
Bis zum Ende des Kalten Krieges blieben im Freund-Feind-Sche-ma nicht zuletzt jene unter Generalverdacht, die jenseits der offiziellen Politik für die Aufnahme von Verhandlungen, den Verzicht auf Rüstung oder allgemein für einen «Dritten Weg» jenseits der Konfrontation warben. Dies hatte 1949 selbst ein Thomas Mann erfahren müssen. «Kommunistenfreund» war noch eine der gemäßigteren Bezeichnungen, die er über sich ergehen lassen mußte, als er in diesem Jahr außer zu den Goethe-Feiern im westdeutschen Frankfurt am Main auch zu den Parallelveranstaltungen im ostdeutschen Weimar fuhr. 83 Im Westen gerieten jedoch seit den fünfziger Jahren insbesondere die selbsternannten Vermittler in der deutsch-deutschen Frage unter politischen Druck. Zu dieser lange vergessenen, aber prominent besetzten Gruppe gehörten unter anderem der erste niedersächsische Innenminister, Günter Gereke, und der erste Chef des westdeutschen Verfassungsschutzes, Otto John. Beide verstanden sich als «deutschnational» und sahen ihr Handeln als notwendige Tat unter den Bedingungen des Kalten Krieges. In der öffentlichen Wahrnehmung galten beide hingegen als politisch Abtrünnige. «Einmal Verräter, immer Verräter», vermerkte bezeichnenderweise der damalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, nach Johns Übertritt in die DDR im Juli 1954. 84
Unter diesen Generalverdacht, mit dem gegnerischen System zu sympathisieren, fielen häufig auch jene Übersiedler, die während des Kalten Krieges mehrheitlich mit dem Ziel, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, die Seiten wechselten. Auch dies ist wiederum am Beispiel des geteilten Deutschland am deutlichsten nachzuvollziehen. Bereits zwischen der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 und dem Mauerbau 1961 verließen rund
2 700 000 Menschen die DDR, um in der Bundesrepublik ein neues Leben anzufangen. Aus der Bundesrepublik gingen im gleichen Zeitraum nach offiziellen westdeutschen Zählungen etwa 400 000 Personen nach Ostdeutschland, andere Berechnungen kommen sogar auf knapp 603 000 Menschen. 85 Unabhängig von den in der großen Mehrheit eher unpolitischen Intentionen, blieb die Übersiedlung unter den Voraussetzungen des Kalten Krieges auf beiden Seiten bis zum Ende ein Politikum. Die sogenannte Republikflucht war in der DDR faktisch eine politische Straftat, die seit
1957 mit einer kontinuierlich erweiterten Gefängnisstrafe belegt wurde. Seit 1979 drohte das Strafgesetzbuch acht Jahre Freiheitsentzug an. In der Bundesrepublik galt die Flucht aus der DDR -ebenso politisch - als eine «Entscheidung für Freiheit und Menschenwürde». 86 Während die westdeutschen Stellen allerdings die Übersiedler nach einer Befragung im wesentlichen unbehelligt ließen, überwachte man in der DDR jeden Zuwanderer noch über Jahre, ob sich hinter ihm der Feind verbarg. Dies galt interessanterweise selbst für die geheimen Übersiedlungen von Aktivisten aus der bundesrepublikanischen Terrorszene, die sich ausdrücklich zum Ostblock und dessen Zielen bekannten.
Revolutionäre Bewegungen, Freiheitskämpfer, Terrorismus
Auf den ersten Blick scheint die Entstehung von revolutionären Bewegungen und des «Terrorismus» wenig mit dem Kalten Krieg zu tun zu haben. In der Tat war beides schon lange vorher bekannt. 87 Die Definition allerdings war immer umstritten geblieben: Ob jemand, der sich die gewaltsame Veränderung von Machtverhältnissen zum Ziel gesetzt hatte, den positiven Titel «Freiheitskämpfer» oder die negative Bezeichnung «Terrorist» erhielt, hing vor allem vom politischen Blickwinkel des Betrachters ab. Daß es trotzdem einen besonders engen Zusammenhang gab, erschließt sich daraus, daß die Zahl der Gruppen, die sich als revolutionäre Bewegungen oder Freiheitskämpfer begriffen und von ihren Gegnern als Terroristen definiert wurden, deutlich an-stieg. Der Kalte Krieg bot offensichtlich aufgrund seiner rigorosen
Freund-Feind-Unterscheidung und seiner totalen Dimension eine hervorragende Grundlage für ihre Entstehung.
Nach welchem Ordnungsmuster diese Gruppierungen der einen oder der anderen Seite im Kalten Krieg zugeschlagen wurden und unter welchen Bedingungen die Blöcke auch Terror als politisches Mittel im Konflikt
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