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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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sogenannte «Hotmusik» aus dem Westen, und war damit eine Art östlicher Gegenpol zu den auch in der DDR beliebten Jugendsendungen des Westberliner RIAS, des Kölner DLF oder auch des Senders Freies Berlin konzipiert. 43 Doch dieses offensive Programm - DT 64 sendete nicht wie der Deutsche Freiheitssender 904 unter dem Deckmantel eines angeblichen «Westsenders»
    - bereitete den SED-Offiziellen von Beginn an politische Bauchschmerzen. Ulbrichts Flaltung zur westlichen «Affenkultur» war allen geläufig, und auch sein «Kronprinz» Erich Honecker fragte 1965, ob man mit der Annahme westlicher Musik nicht im Begriff sei, auf ein weiteres perfides Manöver des politischen Gegners hereinzufallen. Die «Hotmusik» sei doch nur ein weiterer Teil des großen westlichen Plans, einen neuen «Tag X», einen neuen «17. Juni» zur Zerstörung der DDR einzuläuten. Man übersehe, so Honecker, daß der Gegner im Kalten Krieg «diese Art Musik ausnutzt, um durch die Übersteigerung der Beat-Rhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen» 44 Auf der westlichen Seite des Kalten Krieges hielt man DT 64 dagegen für einen überaus geschickten politischen Coup der DDR im Medienkrieg. Der Sender sei in seiner Mischung aus Musik und Politik beliebt und daher geeignet, nicht nur DDR-Jugendliche stärker an den zweiten deutschen Staat zu binden, sondern auch Hörer im Westen für den Kommunismus zu interessieren. Der DDR-Führung allerdings war die «Hotmusik» schließlich dann doch entschieden zu heiß. Auf dem berüchtigten «Kahlschlagplenum», dem 11. Plenum der SED 1965, verordnete man DT 64 eine stärkere politische Überwachung. Dennoch blieb der Sender als wichtiges Standbein des DDR-Rundfunks bis zum Ende der DDR erhalten, allerdings schließlich ebenfalls mit ständig abnehmender Hörerzahl im Osten.
    Auch im Westen glaubten Kulturfunktionäre zeitweilig, das Hören von beliebten Musiktiteln aus dem Osten - etwa von DDR-Gruppen (u.a. Puhdies, Karat) oder auch ungarischer Bands (u.a. Omega) - löse möglicherweise eine politische Affinität zum Ostblock aus. Zweifellos war dies nicht so. In umgekehrter Richtung sah das schon anders aus, wie zum Beispiel die Fanpost an den Sender DT 64 deutlich macht. Zum Teil wurde hier sogar aggressiv die Reisefreiheit eingefordert, um Konzerte von westlichen Gruppen wie Led Zeppelin, AC/DC oder Queen zu besuchen 45 Trotz aller Bemühungen der SED, die Leidenschaft für Beat, Rock oder Pop in regimetreue Bahnen zu lenken, blieb so die Begeisterung immer mit einer Affinität zum Westen verbunden. Sie war stets ein wenig «amerikanisch». Solche Musik, hieß es in einer durchaus ernst gemeinten musikwissenschaftlichen Abhandlung aus der DDR zu Beginn der fünfziger Jahre, sei «ein Kanal, durch den das barbari-sierende Gift des Amerikanismus eindringt und die Gehirne der Werktätigen zu betäuben droht. Diese Bedrohung ist ebenso gefährlich wie ein militärischer Angriff mit Giftgasen [...]. Hier schlägt die amerikanische Amüsierindustrie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie erobert den musikalischen Markt der Länder und hilft, deren kulturelle Unabhängigkeit durch den Boogie-Woogie-Kosmopolitismus zu untergraben; sie propagiert die degenerierte Ideologie des amerikanischen Monopolkapitalismus mit seiner Kulturlosigkeit, seinen Verbrecher- und Psychopathenfilmen, seiner leeren Sensationsmache und vor allem seiner Kriegs- und Zerstörungswut.» 46
    Solche Befürchtungen wurden teilweise vom Westen sogar ganz gezielt geschürt. Elvis Presleys Musik sei durchaus als ein amerikanisches «Geschütz im