Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
auch und insbesondere der sogenannte Nationalkommunismus - den Bruch mit Moskau zur Folge haben würden. Ähnlich gelagert war zwanzig Jahre später die sogenannte Breschnew-Dok-trin, die eine grundsätzlich eingeschränkte Souveränität der mit der Sowjetunion verbündeten Staaten festschrieb. Zu einem militärischen Einmarsch in den angeblich abtrünnigen Staat, wie er
1968 in der CSSR durchgeführt wurde, kam es zwar 1948 in Jugoslawien nicht, wohl aber zu massivem Druck, der nicht nur das Land selbst traf, sondern alle seine vermeintlichen Parteigänger. Die Reaktion im Westen verlief ebenfalls nahezu automatisiert. Hier wurde Tito als der Held gefeiert, der dem Diktator in Moskau getrotzt habe. Der vermeintliche «Deserteur» aus dem anderen Lager wurde hier mit offenen Armen empfangen und erhielt ab 1949 erhebliche materielle Unterstützung. Daß die Gründe für das Zerwürfnis zwischen Stalin und Tito viel komplexer waren und der jugoslawische Staatschef ganz und gar nicht freiwillig aus dem Ostblock schied, sondern um seinen Verbleib zunächst verzweifelt kämpfte, wurde zwar bereits 1949 bekannt, aber ignoriert. Eines jedoch machte diese Episode deutlich: Der Konflikt, den man jetzt den Kalten Krieg nannte, erzeugte nicht nur eine regelmäßige und zumeist voraussehbare, sondern immer auch eine umfassende Reaktion.
Krieg der Weltordnungen
Als 1947 der Kalte Krieg offiziell wurde, war er bereits tendenziell ein totaler Konflikt, der alle Bereiche des öffentlichen und zunehmend auch des Privatlebens berührte. Daß er ein permanenter und aktiv betriebener «Nicht-Frieden» war, in dem die Auseinandersetzung politisch-ideologisch, ökonomisch, technologisch-wissenschaftlich, kulturell-sozial und militärisch geführt wurde, und seine Auswirkungen sich bis in den Alltag zeigten, war bereits in diesem Jahr das Thema einschlägiger Veröffentlichungen. Eigentlich brauchte der durchschnittlich Informierte diesseits oder jenseits des Eisernen Vorhangs nur eine Zeitung aufzuschlagen, und er konnte den «totalen Konflikt» an täglich neuen Beispielen verfolgen. Geographisch standen 1947 zwar die aktuellen Konfliktherde in Europa sowie dem Nahen und Fernen Osten im Mittelpunkt, die Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung war aber allgegenwärtig. Walter Dirks, einer der Herausgeber der Frankfurter Hefte , merkte in einer Glosse zum Thema «Berichte vom Kalten Krieg» drei Jahre später ironisch an, angesichts dieses psychologischen Klimas lese sich bereits der tägliche Wetterbericht wie eine Kriegsberichterstattung. «Es stand manchmal sehr bedrohlich, es war von einem Kampf von seltenem Ausmaß die Rede, die nordsibirische Kaltluft stieß immer wieder erneut nach Westen vor, überschritt die Elbe, bildete Keile, die Gegensätze verschärften sich [,..].» 15
Einer jener Autoren, die 1947 nicht nur besonders drastisch die Globalität und Totalität des Konflikts beschworen, sondern eine überdurchschnittlich breite Leserschaft im Westen, nicht zuletzt in Westdeutschland erreichten, war James Burnham. Der damals 42jährige amerikanische Professor für Soziologie blieb für die nächsten Jahrzehnte einer der wichtigsten und am meisten rezipierten Theoretiker des Kalten Krieges. Bemerkenswerterweise hatte der 1905 in Chicago geborene Burnham seine politische Sozialisation, wie eine Reihe anderer einschlägiger Antilcommuni-sten des Kalten Krieges, als überzeugter Marxist begonnen. Jahrelang war er sogar Mitarbeiter Leo Trotzkis gewesen, der als Stalins Rivale 1927 politisch ausgebootet und 1940 im Exil ermordet worden war. Auch bei Burnham hatten die Moskauer Schauprozesse in den dreißiger Jahren den Bruch mit dem Kommunismus zur Folge gehabt. Mit The Strugglefor the World (Der Kampf um die Welt) erschien 1947 dann seine erste programmatische Arbeit zum Kalten Krieg. Hier malte er seine These, man befinde sich in einem realen «Dritten Weltkrieg», detailliert aus. 16 «Wir leben in etwas, was Lenin korrekt als das (Zeitalter der Kriege und Revolutionen) beschrieben hat, in der Mitte einer großen Weltrevolution.» Aus diesem Blickwinkel erschienen ihm alle sowjetischen Maßnahmen als Stufen eines großangelegten «Planes». Hier fügten sich alle Einzelereignisse - wie der Chinesische und der Griechische Bürgerkrieg oder auch die Irankrise - bruchlos ein. Die These des Dritten Weltkriegs war für Burnham so zentral, daß er ab 1955 in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift National Review eine gleichnamige
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