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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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alles kümmern. So ein Unglück. Du weißt ja, Kindchen, unser Stepan . . .« Die alte Frau brach in Tränen aus.
    Katja fragte sie, wohin sie wolle, und bot ihr an, sie zu begleiten, aber Marussja schüttelte den Kopf – nicht doch, Kindchen, nicht nötig. Sie erklärte, dass an diesem Tag der Milchwagen nach Mebelny komme. »Da hole ich immer frische Milch, die aus dem Laden mag unsere Anna nicht. Quark und Kefir mache ich ihr selber. Es ist nicht weit bis dorthin, ich bin’s gewohnt. Schauen Sie doch bei uns herein, Kindchen – im Haus ist alles offen. Hier haben Sie den Schlüssel zur Gartenpforte. Verschnaufen Sie ein bisschen. Anna schläft noch.«
    Vielleicht wäre Katja ohnehin unter irgendeinem Vorwand zur Datscha gegangen. Aber so traf es sich noch besser. Nun konnte sie sich noch einmal ungestört Haus und Grundstück ansehen.
    Sie nahm den Schlüssel entgegen und bedankte sich. Natürlich würde sie warten, bis Marussja zurück war, natürlich . . .
    Haus und Garten empfingen sie mit Stille. Katja schlenderte zuerst lange über das Grundstück, scheinbar ziellos, steckte dabei aber die Nase in sämtliche Ecken und Winkel. Manchmal blieb sie vor einem Blumenbeet stehen und berührte die Erde. Sie erinnerte sich, dass in einem Film von Hitchcock die Leiche in einem frisch angelegten Beet vergraben war. Aber hier war die Erde überall trocken und seit langem nicht umgegraben.
    Sie schritt auch den ganzen Zaun der Länge nach ab, schaute in den Schuppen – Gartengerät, Schaufeln, Harken – und rüttelte an den verschlossenen Garagentoren. Nein, es war vergeblich: Vor ihr hatten an diesem Ort schon andere gesucht. Und überhaupt, wer sagte denn, dass er sie hier getötet hatte?
    Katja stieg die Stufen zur Veranda hoch. Der Frühstückstisch war gedeckt, aber niemand saß daran. Anna Mansurowa, die Oma, war noch nicht aufgestanden.
    Sie ging weiter ins Wohnzimmer. Dämmerlicht, Fotos. Sie zog die Vorhänge auf, ließ die Sonne herein und betrachtete die Fotos an den Wänden genauer. Sehr alte waren darunter, aus den Zwanzigerjahren, offenbar von den Dreharbeiten zur »Bärenhochzeit«: Schauspielerinnen mit Bubiköpfen, imposante Männer, sichtlich aus der alten, von der Revolution damals noch nicht restlos ausgerotteten Schauspielergeneration . . . und die Mansurowa selbst, fast noch ein Mädchen.
    Katja zuckte zusammen, als plötzlich die Uhr zu schlagen begann. Könnten ihre Vorgesetzten sie jetzt sehen. . . aber das gehörte schließlich auch zur Materialsammlung für eine Kriminalreportage und konnte als journalistische Recherche gelten.
    »Wer ist da?«, ertönte hinter ihr eine krächzende Greisinnenstimme. »Marussja, bring mir das Radio. Dmitri, bist du das?«
    Stepan Basarow wurde ohne Zwischenfälle ins Institut für biologische Expertisen gebracht. Die Prozedur selbst dauerte kaum mehr als eine Viertelstunde: Aus der Vene des Verdächtigen wurde zwecks einer Vergleichsprobe ein wenig Blut entnommen. Stepans weitere Anwesenheit im Institut war nicht erforderlich. Auf dem Rückweg fuhr Untersuchungsführer Kassjanow mit, der den Rasdolsker Transport im Foyer des Instituts in Empfang genommen hatte.
    »Heute ist Ihr jüngerer Bruder Iwan bei mir zum Verhör geladen«, sagte er zu Basarow. »Möchten Sie ihm vielleicht etwas ausrichten?«
    Stepan schüttelte den Kopf. Seine ganze Aufmerksamkeit schien dem Gazeverband in der Ellbogenbeuge zu gelten, der die kleine Wunde vom Einstich der Nadel bedeckte. Sobald Kassjanow an der Staatsanwaltschaft ausgestiegen war, wurde Basarow von der Wache wieder »angeschmiedet«. Den verletzten linken Arm, den er gebeugt hielt, ließen sie in Ruhe; den rechten fesselten sie wie auf der Hinfahrt an die Eisenstange des Verdecks.
    »Du siehst ja reichlich blass um die Nase aus«, sagte einer der Wachsoldaten grinsend. »Kannst wohl dein eigenes Blut nicht sehen? Nur fremdes, was?«
    Sie fuhren mit hohem Tempo zurück. Der Chauffeur hatte es eilig, nach Hause zum Abendessen zu kommen. Basarow schwieg, starrte durchs Fenster auf die vorüberhuschende Straße. Manchmal bewegte er sich, beugte und streckte vorsichtig den linken Arm. Auf dem Gazeverband erschienen rote Blutstropfen.
    »Was soll das Herumgerutsche?«, fragte einer der Wachsoldaten. »Sitz gefälligst ruhig!«
    Sie fuhren über die Ringstraße, Kilometer um Kilometer, vorbei an Pawlowo-Possad. Die Straße machte einen Bogen nach Dorochowo und von dort zum Fluss Kljasma. Nun war Rasdolsk schon ganz nahe.

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