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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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jungen Mann erblickte sie Stattdessen Moosklumpen, Blätter, Erdhaufen und Lehm in verschiedenen Farbschattierungen, außerdem Baumrinde und violette, giftig aussehende Pilze. All dieses zerriebene, zerkrümelte, ausgepresste und zerkaute Zeug (vor Katjas entsetzten Blicken steckte sich der Bursche einen der Pilze in den Mund und spuckte sich den graublauen Brei auf die Hand) wurde als Tarnfarbe benutzt.
    Hinter ihm, an Reckstangen, die in die Bäume geschlagen waren, machten smarte Typen in khakifarbenen Westen Klimmzüge. Die zahlreichen Taschen und Fächer ihrer Westen standen klobig ab und erschwerten den Trainierenden offenbar durch zusätzliche Gewichte ihre Aufgabe. Ein anderer junger Mann verharrte zunächst regungslos im Handstand und begann dann, schwierige und kraftraubende akrobatische Übungen zu machen.
    Als sie sich der Feldküche näherten, bemerkte Katja einen Baumstumpf von beeindruckenden Ausmaßen, den man aus der Erde gerissen und auf einen niedrigen Hügel zwischen zwei junge Kiefern gestellt hatte. An den Kiefernstämmen waren zwei Plakate mit dem runden Logo der Schule befestigt: ein schwarzes Feld auf weißem Grund, darin ein gezackter weißer Blitz – das gleiche Abzeichen, das Katja auf der Brust der Männer gesehen hatte, die den Zigeunerjungen verfolgt hatten. Vor dem Baumstumpf war ein bronzener Dreifuß in den Boden gerammt, einer von der Art, wie man sie in Chinaläden kaufen konnte. Darin schwelten Kohlen. Wie von einem Opferaltar stieg ein bläulicher Rauchstreifen in den Himmel. Der Baumstumpf war quer eingeschnitten, und in dem glatten, polierten Einschnitt steckten über Kreuz zwei Furcht erregend große Finnmesser.
    Das alles gefiel Katja überhaupt nicht. Sie dachte wieder an die zähnefletschenden Hunde auf der Landstraße. Als sie sich an ihren Begleiter wandte, um zu fragen, was all diese Symbole bedeuteten, sah sie plötzlich ein Augenpaar. Die Augen blickten sie von unten aus dem Gras an, kalt und prüfend. Katja prallte zurück. Das Herz klopfte ihr wild in der Brust. Der Mann, der ausgestreckt im Gras gelegen hatte, erhob sich schweigend. Er trug einen dunklen Kampfanzug, der mit Grasbüscheln getarnt war.
    Katja wich erschrocken zurück. »Was soll das?«, fragte sie flüsternd ihren »Betreuer«.
    »Nichts Besonderes«, entgegnete der Mann gleichmütig. »Eine Tarn – und Ausdauerübung. Man darf sich mehrere Stunden lang nicht bewegen oder seine Körperhaltung ändern. Komm weiter, aber sperr die Augen auf, wohin du trittst.«
    Ja, sperr bloß Augen und Ohren auf. . . Katja drehte sich neugierig um. Der wieder zum Leben erwachte Mann kontrollierte die Stoppuhr an seinem Handgelenk, offenbar um sich selbst zu überprüfen. Bei der Feldküche wurde Katja endlich ein Stuhl angeboten, genauer gesagt, ein Holzblock, auf dem ein Brett lag. Der Koch schenkte ihr heißen Tee, der nach Minze und anderen Kräutern duftete, in einen Plastikbecher.
    Fünf Minuten verstrichen. Katja trank schluckweise und fächelte sich mit einem abgerissenen Zweig Luft zu. Es wurde immer schwüler. In ihrem schicken schwarzen Kleid war ihr entsetzlich heiß. Sie kam sich albern vor, wie sie unsicher auf dem verdammten wackeligen Holzblock saß; außerdem fürchtete sie, mit der Strumpfhose an einem Splitter hängen zu bleiben.
    »Ueshiba hat gelehrt, dass man dem Schüler als Erstes die Technik des Kampfes beibringen muss. Aber solange er nicht rund geschliffen ist wie eine Kugel, ist das sinnlos.« Stepan und Sergej traten aus den Sträuchern auf die Lichtung. Stepan hielt einen geraden, polierten Stock in der Hand und klopfte sich damit auf die Hüfte. »Auch das gehört zu unseren Aufgaben hier. Der Schliff geht natürlich nicht immer problemlos, nicht bei allen . . . das, was du eben gesehen hast, ist nur der Anfang. Eine erste und sicher die unterste Stufe. Doch unsere Bestrebungen gehen viel weiter. Weißt du, zu mir kommen nur Leute, die meist schon wissen, was sie wollen und wofür sie mich bezahlen. Doch ich warne sie sofort: Bei mir herrscht freiwillige Diktatur. Wer sich nicht an meine Disziplin und meine Forderungen hält, kann wieder verschwinden. Wir haben hier ganz unterschiedliche Leute. Es gibt die Jungs aus dem Security-Bereich, andere kommen direkt nach dem Militärdienst, wieder andere sind demobilisierte Fallschirmspringer und ehemalige Leistungssportler. Alle kommen aus eigener Initiative zu mir. Ihnen allen sage ich von Anfang an, dass es mir völlig egal ist, wessen

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