Der kalte Kuss des Todes
selbstbewusste, starke Rennpferde und doch gleichzeitig gesichtslose graue Schatten: leise Stimmen, Gesichtszüge, die man sofort wieder vergaß, knappe, präzise Gesten. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie die Männer, mit denen sie auf der Straße aneinander geraten waren, nicht wiedererkennen würde. Aber Stepan schien offenbar gar keine Gegenüberstellung zu brauchen.
Auf seinen Pfiff hin stellten die Schüler sich in einer Reihe auf. Basarow schritt langsam die Reihe ab. Mit seinem Stock tippte er einem der jungen Burschen an die Brust, dann einem zweiten. Die beiden traten vor.
»Wieder mal auf Abwegen?«, fragte er leise. »Ich habe euch gewarnt.«
»Ja, du hast uns gewarnt, aber das war doch bloß ein Zigeunerbalg, und. . .« Weiter kam der Mann nicht. Basarow schleuderte den Stock fort und packte den Burschen an der Brust.
»Was hast du denn? Wir haben doch bloß . . . der hat geklaut wie ein Rabe, der verdammte Bengel. . .«
Ein furchtbarer Hieb gegen den Kiefer schleuderte den Mann zu Boden. Katja begriff gar nicht, was geschah, so blitzartig und erbarmungslos waren Basarows Schläge, die wie ein Hagelschauer auf die Männer niederprasselten, die gegen die Regeln der Disziplin verstoßen hatten. Das Knacken von Knochen, Stöhnen, Ächzen, ins Gras gespuckte Blutklumpen . . . Augenscheinlich hielt Stepan die beiden nicht für ernsthafte Gegner; er verprügelte sie methodisch und nach allen Regeln der Kunst, als wollte er an ihnen die Taktik des Nahkampfs demonstrieren. Die unbeweglich in Reih und Glied stehenden Schüler beobachteten das Schauspiel schweigend.
»Ruft meinen Geschäftsführer an, holt euer verdammtes Geld und haut schnellstens von hier ab!« Basarow trat einen der am Boden liegenden Schüler mit dem Fuß. »Verschwindet!«
Weiter würdigte er sie keines Blickes mehr. Sie rappelten sich schwerfällig auf und humpelten zum Haus.
»Ist sonst noch etwas nicht in Ordnung?« Basarow drehte sich zu Sergej und Katja um.
»Nein.« Beide wichen seinem Blick aus.
Stepan trat ganz dicht an Katja heran.
»Das wolltest du doch, oder? Du wolltest doch, dass diese Kanaillen bestraft werden. Ist der feinen Dame jetzt etwa übel? Halten ihre zarten Nerven das nicht aus?«
»Das reicht, Stepan.« Sergej machte ein finsteres Gesicht. »Ich denke, es wird Zeit, wir müssen fahren. Bis wir da sind, ist es Viertel vor zwei. . . Fährst du mit deinem Wagen oder mit uns?«
»Wartet einen Moment, ich will mich nur rasch umziehen. Die Oma mag diese Klamotten nicht.« Basarow schaute zum Himmel. »Die reinste Sauna ist das heute. Das gibt am Abend bestimmt noch ein Gewitter.«
Katja und Sergej warteten neben dem Auto auf Basarow. Der Eimer mit den Rosen wurde gebracht. Die Blumen ließen schon die Köpfe hängen.
»Seid ihr euch über die geschäftlichen Dinge einig geworden?«, fragte Katja. Das Schweigen wurde so drückend, dass sie es kaum mehr ertragen konnte.
»Ja. Sie wollen uns einen großen Auftrag für die Lieferung von Bergsteigerausrüstung geben. Basarow plant eine Trainingsfahrt in den Kaukasus, nach Dombai.« Sergej antwortete nur widerstrebend. Katja kannte ihn gut genug, um zu begreifen: Was er hier gesehen hatte, gefiel ihm gar nicht. Er bereute jetzt schon, diesen Kontakt geknüpft zu haben, brachte es aber nicht fertig, abzulehnen – ein weicher Charakter.
»Die haben unter den Kiefern so einen merkwürdigen Altar«, sagte sie.
»Hab ich gesehen.«
Katja wartete auf Erklärungen, doch Sergej schwieg, und so stellte sie eine andere Frage: »Von welchem Krieg hat er gesprochen? Krieg mit wem? Nun sei doch nicht so stumm wie ein Fisch!«
»Was willst du hören?« Sergej öffnete die Wagentür. »Im Prinzip tun sie hier nichts Böses, sie üben bloß .., Niemand verheimlicht etwas. Stepan hat mich sogar für heute Abend zu einer Feier eingeladen. Die Jungs, die den Kurs beendet haben, werden zu Meistern geweiht. Mit Politik hat das alles wirklich nichts zu tun.«
Katja spürte, dass er irgendetwas zurückhielt, aber nicht deutlicher werden wollte.
»Sag mir offen und ehrlich, Sergej – was machen sie hier? Was wird hier gelehrt?«
»Das hat er dir doch schon gesagt: Überlebensstrategien in Extremsituationen. Jugoslawien und Tschetschenien, du weißt ja. In den Städten haben unsere Soldaten sich zufrieden stellend geschlagen, aber sobald der Schauplatz der Kampfhandlungen sich in die Berge verlagerte, in die großen Wälder, konnten unsere Soldaten sich nicht immer an die neue
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