Der kalte Kuss des Todes
auf Grant einen besonderen Kampfgriff angewandt, der den kräftigen, durchtrainierten Grant sofort außer Gefecht gesetzt habe. Für den Angreifer hatte der Mediziner dabei das seltsame Wort »Subjekt« benutzt.
Kolossow ertappte sich immer häufiger dabei, dass auch er das Wort »Subjekt« gebrauchte – nicht »Mann«, nicht »Verbrecher«, nicht »Verdächtiger«, sondern eben »Subjekt«, ein vorerst noch unbestimmter, substanzloser, aber unheimlicher Begriff, um den Rasdolsker Täter zu bezeichnen.
Leider hatte die Untersuchung des Tatorts, das A und O für jeden professionellen Ermittler, in beiden Mordfällen wenig Nutzen gebracht. Das »Subjekt« hatte praktisch keine Spuren hinterlassen außer seiner charakteristischen Visitenkarte – der Art und Weise, sein Opfer zu töten, und den darauf folgenden Manipulationen an der Leiche: untypische Verletzungen, Haare aus dem Fell eines unbekannten Tieres, im Fall Grants auch Manipulationen mit dem Blut des Opfers. Hinweise auf Raub oder sexuelle Übergriffe gab es nicht.
Dieses Bild wurde durch die seltsamen Tötungen von Tieren ergänzt, die im Bezirk Rasdolsk mit unerfreulicher Regelmäßigkeit begangen wurden. Und in dieses Puzzle mussten nun auch noch die Geschehnisse der vergangenen Nacht eingefugt werden.
Das gesuchte »Subjekt« passte in keins der üblichen Modelle kriminellen Verhaltens, wie Kolossow sie in seinen Dienstjahren bei der Miliz kennen gelernt hatte. »Irgendwas ist faul an dieser Sache« – das wurde für Kolossow langsam so etwas wie eine fixe Idee. Und an diesem Morgen, nach der durchwachten Nacht, als sein Kopf fast zerspringen wollte, seine Augen verklebt waren und alle Muskeln schmerzten, als hätte er stundenlang Kohlensäcke geschleppt, brauchte Nikita mehr denn je einen klugen Rat oder noch besser eine fruchtbare Diskussion mit einem erfahrenen Kollegen.
Doch die Umstände an diesem Tag wollten es, dass er gegen seinen Willen für einige Zeit von den Ereignissen ausgeschlossen wurde. Er musste sich mit anderen Problemen befassen und sich wieder einmal davon überzeugen, wie bitter das Brot eines operativen Mitarbeiters war.
Gerade als er nach der Besprechung endlich ein wenig verschnaufen wollte, begannen die Telefone in seinem Büro schrill zu klingeln. Sein Vorgesetzter rief an und äußerte seine Unzufriedenheit über das langsame Vorankommen der Ermittlungen. Dann meldete sich der Chef der lokalen Verwaltung. Auch er polterte in den Hörer wie rostiges Eisen auf dem Dach: »Wie lange soll das denn noch dauern! Die Einwohner unseres Bezirks sind in Panik! Wann ergreifen Sie endlich Maßnahmen? Wann wird der Verbrecher festgenommen . . .«
Als Letzter rief Chalilow an. »Wir müssen uns treffen und einen kleinen Ausflug machen, ins Staatshotel nach Oktjabrsk. Ich hol dich gleich ab, einverstanden?« In Oktjabrsk befand sich das Untersuchungsgefängnis, in dem Grants Blutsbruder saß, der Hai.
Chalilow arbeitete weiter an der »Michailow-Version«. Im Mordfall Igor Sladkich, der vom Fall Grant getrennt und an die Staatsanwaltschaft überstellt worden war, musste eine sichere Beweislage geschaffen werden. Aussagen von Michailow und dessen Bandenmitgliedern zu bekommen, die man in Untersuchungshaft genommen hatte, um die heimlich auf Band mitgeschnittenen Geständnisse zu erhärten, war für die Staatsanwaltschaft ohne die aktive Hilfe der Kriminalmiliz und ihrer inoffiziellen Mitarbeiter sehr schwierig. Zurzeit führte Chalilow die Anweisungen des Staatsanwalts aus und versuchte, Genaueres über die Person des Auftragskillers herauszufinden. Der tote Grant selbst konnte keine Angaben mehr machen, doch ohne umfassende Informationen über ihn würde kein Gericht den Fall als hinreichend geklärt anerkennen.
Die Staatsanwaltschaft interessierte sich vor allem für die Frage: Wie war Grant auf die fremde Datscha in Polowzewo gekommen, wo er dann den Tod gefunden hatte? Mit wessen Hilfe hatte er das Haus gemietet? Hatte er einen Mittelsmann gehabt, einen Helfer? Vielleicht konnten diese Informationen ja auch bei der Fahndung nach dem Mörder des Berufskillers nützlich sein. Und so setzte Renat Chalilow seine V-Leute auf diese Fragen an. Nun hatte er offenbar irgendetwas herausgefunden und wollte sich darüber mit seinem Chef beraten – mit Kolossow.
Anderthalb Stunden später kam er in seinem billigen alten Wolga nach Rasdolsk gebraust. Von dort bis Oktjabrsk hatten sie eine gute Strecke zu fahren.
»Unser Hai hüllt sich
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