Der kalte Kuss des Todes
sogar telefonisch anmelden muss.
»Über dein Anliegen reden wir nachher, mein Herz. Jetzt trink erst mal Tee.«
Der Bebrillte ging hinaus und ließ sie allein.
»Der junge Mann hat gesagt, er sei der Vater Ihres Enkels«, sagte Katja schüchtern. »So jung und schon . . .«
»Mein Sohn.« Leila seufzte und schenkte sich grünen Tee nach. »Im Sommer wird er vierundzwanzig. Als ich ihn zur Welt gebracht und angeschaut habe – heilige Mutter Gottes! Aber was sollte ich tun? Gott hat ihm keine Gesundheit geschenkt. Aber er ist ein guter, lieber Junge. Kaum war er flügge, hat er auch schon einem Mädel den Bauch gefüllt. Na, wir haben das Brautgeld bezahlt und Hochzeit gefeiert. Sie war noch keine vierzehn, und er war gerade erst so alt geworden. Sie haben hier bei mir gelebt wie die Kätzchen. Ein gutes Mädel. Aber wieder hat Gott kein Glück gesandt, sondern es genommen: Bei der Geburt ist sie gestorben. Und wie ich sehe, hast du keine Kinderchen.«
»Nein.« Katja nahm einen Schluck Tee.
»Vom Geliebten musst du sie empfangen und gebären. Nur solchen Kindern gibt Gott Gesundheit. Sie haben einen guten Stern, der hoch und hell am Himmel steht und bis ans Ende der Tage nicht erlischt. Aber sein Stern wird bald erlöschen. Weh ist mir ums Herz. Aber was soll ich tun?«
»Aber warum denn, wie kommen Sie darauf? Heute gibt es viele Behinderte, die ein zufriedenes und langes Leben haben.« Katja war betroffen.
»Der Enkel ist mein Trost und meine Freude. Er wird bleiben und unser Geschlecht erhalten. Seine Lebenslinie ist stark. Und du, bist du wirklich gekommen, damit ich dir weissage?« Die Zigeunerin sah Katja scharf in die Augen und lächelte. »Du glaubst uns ja gar nicht.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Katja erstaunt.
»Das sehe ich.«
»Ich brauche Ihren Rat, Leila.« Katja holte die Fotos von Sladkich, Jakowenko und Grant aus ihrer Handtasche. »Bitte schauen Sie sich diese Männer an. Sie sind spurlos verschwunden.«
Leila schob Tee und Konfitüre beiseite und breitete die Fotos vor sich aus. Dann drehte sie die Bilder um.
»In dieser Welt brauchen Sie die Männer nicht mehr zu suchen – es ist zu spät«, erklärte sie schlicht.
Katja verschluckte sich am Tee und musste husten.
»Wie können Sie so überzeugt davon sein, Leila?«
»Wie soll ich es dir sagen? Die Wahrheit wirst du nicht glauben, wirst zweifeln. Sie haben kein Leben, diese Gesichter. Von ihnen geht der Geruch des Grabes aus.«
»Zwischen ihnen. . .«
»War etwas? Und das willst du erfahren? Ja, es stimmt. Hier, dieser und dieser. . .« Die Zigeunerin mischte die Fotos wie Spielkarten und drehte dann wie auf gut Glück zwei davon um: Sladkich und Grant. Das Foto des Killers legte sie auf die Aufnahme seines Opfers.
»Dieser hat diesen getötet. Und das weißt du sehr gut, meine Liebe. Du willst mich nur auf die Probe stellen.«
»Entschuldigen Sie.« Katja errötete. Ihre Augen waren vor Neugier ganz rund geworden. »Es stimmt, ich glaube eigentlich nicht an Wahrsagerinnen. Ich hielt das immer für Betrug.«
»Nicht alles bei uns ist Betrug.« Leila lächelte. »Aber manchmal, meine Liebe, wollen die, die zu mir kommen, betrogen werden. Sie sind bereit, für so einen Betrug, für ein kleines bisschen Hoffnung jede Summe zu bezahlen. Bei der einen trinkt der Mann und betrügt sie nach Strich und Faden. Immerzu will sie von mir wissen: Kommt er wieder zur Vernunft, liebt er mich, kehrt er zurück? Sagst du dieser Frau: › Nein, und das ist auch besser so für dich ‹ , ziehst du ihr den Boden unter den Füßen weg. Aber wenn du ihr Mut machst, ihr etwas vorlügst, dann . . .«
»Leila, diese beiden hier«, Katja griff nach den Fotos von Jakowenko und Grant. »Ich weiß gar nichts über sie, Ehrenwort, nur dass sie bestialisch ermordet wurden. Können Sie mir etwas über diese Männer sagen?«
Die Zigeunerin lehnte sich zurück und legte ihre dicken braunen Hände auf die Fotos. So saß sie lange da, unbeweglich, schweigend. Katja kam es die ganze Zeit so vor, als spielte die alte Hexe ihr eine Komödie vor.
»Sie kennen einander nicht. Und sind sich nie begegnet. Viel Blut ist an ihnen herabgeflossen.« Leilas Augen verschwanden fast unter ihren schweren Lidern, wie bei einer Eidechse, die in der Sonne döst. »Aber der Tod war schnell. Er kam wie ein Blitz . . .«
»Und können Sie mir sagen, wer sie getötet hat?«
Die Wahrsagerin schien gleichsam zu erwachen. Eilig, beinahe schon hastig, schüttelte sie den
Weitere Kostenlose Bücher