Der kalte Schlaf
ihnen durch.«
»Du beschreibst Mr Andrews aus der Oberstufe«, bemerkt Dinah. »Der wohnt hier nicht. Wie sollte er zur Schule kommen?«
»Ich stelle mir eben vor, dass er in einem solchen Haus wohnt. Mit einer Katze. Ganz bestimmt keinem Hund.«
»Warum keinem Hund?« Ich kann nicht widerstehen, ich muss nachfragen.
»Es ist ein Haus für Katzen.«
»Was ist denn unser Haus?«, erkundige ich mich.
»Abgebrannt«, sagt Dinah.
»Überhaupt kein Haus für Haustiere.«
»Gute Antwort, Nones«, sage ich und bin erleichtert, dass ich das wahre Wesen meines Hauses nicht verfremden muss, indem ich es mit Sumpfschildkröten oder Wüstenspringmäusen fülle. »Also, Kinder, ich möchte, dass ihr beide hier wartet. Es wird nicht lange …«
»Nein!«, protestiert Dinah. »Du lässt uns nicht im Auto zurück, auf keinen Fall!«
»Wir könnten ja auf dem Trampolin springen«, schlägt Nonie vor. »Wir ziehen auch die Schuhe aus.«
»Sie wird nein sagen«, warnt Dinah.
»Richtig. Du kannst am Wochenende auf dem Trampolin von William und Barney springen, wie jedes Wochenende.«
»Aber ich will auf dieses.«
»Also schön, ihr könnt mit mir zum Haus kommen und euch ein bisschen die Beine vertreten.«
»Und uns den Streit anhören!« Dinah reibt sich erwartungsvoll die Hände.
Wir steigen aus und stehen in der kalten, feuchten Abendluft. Es ist sechs Uhr abends und so finster wie um Mitternacht. Ich fege die Krümel von den Schuluniformen der Mädchen. Ich weiß, dass welche da sind, obwohl ich sie nicht sehen kann. »Was wirst du sagen?«, flüstert Nonie, als wir uns der Haustür nähern.
»Hör zu und du wirst es herausfinden«, teilt Dinah ihr mit, und ich bin dankbar, dass sie für mich antwortet. In Gedanken spreche ich bereits mit Veronique Coudert. Ich will mich nicht durch ein anderes Gespräch davon ablenken lassen.
Ich drücke auf die Klingel und warte. Das Haus ist groß. Es könnte eine Weile dauern, bis sie zur Tür kommt, wenn sie gerade hinten ist.
»Wenn niemand zu Hause ist, können wir ja auf das Trampolin«, bemerkt Dinah.
»Irgendjemand ist hier«, sage ich. »Der Besitzer dieses Autos da.« Ich deute auf den Honda.
»Vielleicht haben sie das Auto hier stehen lassen, damit Einbrecher denken, dass jemand zu Hause ist, obwohl gar keiner da ist«, sagt Nonie.
Ich drücke erneut auf die Klingel, bin aber zu ungeduldig, um lange zu warten. »Versuchen wir es hinten«, sage ich. Als wir 2003 hier waren, haben wir immer nur die Hintertür benutzt. Ich kann mich nicht an irgendwelche Diskussionen darüber erinnern, warum das so war, aber irgendeinen Grund muss es gehabt haben. Vielleicht gehört Little Orchard zu den Häusern, bei denen nie jemand die Vordertür benutzt. Jo muss das gewusst haben. Veronique Coudert wird es ihr gesagt haben.
Habe ich durch mein Klingeln an der Vordertür signalisiert, dass ich hier fremd bin – jemand, der Little Orchard nicht gut kennt, dem nicht zu trauen ist?
Dinah und Nonie folgen mir, als ich ums Haus herumgehe. Das Geräusch ihrer Schritte auf dem Kies ist tröstlich, ein leises, unregelmäßiges Knirschen hinter mir. Hier hat sich nichts verändert. Der Garten ist immer noch in Stufen angelegt, in Treppenform, jede Stufe eine perfekte Rasenfläche mit einer ordentlichen Backsteinkante. In der Küche und in einem der Schlafzimmer brennt Licht.
Das Handy in meiner Jackentasche klingelt. Mist. Das wird Luke sein. Ich will im Augenblick nicht mit ihm reden, aber ich weiß, wie besorgt er sein wird, wenn ich nicht rangehe. »Hallo«, melde ich mich. »Im Moment ist es gerade ungünstig.«
»Amber, was ist los? Du fährst mit den Kindern nach Little Orchard? Warum?«
»Wir sind gerade angekommen«, erkläre ich. »Alles ist bestens. Wir reden später, ja?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schalte ich das Handy aus und werfe es in meine Handtasche.
»Damit wird er sich nicht zufriedengeben«, stellt Dinah sachlich fest.
»Vermutlich nicht«, bestätige ich.
Ich klopfe an die Küchentür. Eine schwarzhaarige Frau mittleren Alters öffnet. Sie trägt einen blaugrün gemusterten Baumwollkaftan und ausgeblichene Jeans, an den Füßen hat sie rosa Flip-Flops. In der rechten Hand hält sie ein gelbes, graugesprenkeltes Staubtuch. Erst wirkt sie ängstlich, aber dann entdeckt sie die Kinder und lächelt. »Hallo«, sagt sie. »Kann ich Ihnen helfen?« Nach ihrem Akzent zu urteilen, ist sie nicht von hier.
»Veronique Coudert?«
»Nein. Wer sind Sie? Ich haben
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