Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
Vom Netzwerk:
vor ihr standen, nahmen ihr die Sicht. Als sie zur Seite traten, sah sie eine schwarze Frau in einem Hosenanzug, die neben einer behinderten weißen Frau saß. Sie hatte schulterlanges, lockiges blondes Haar, ein Speichelfaden sickerte aus ihrem Mund und lief das Kinn hinunter. Ihr Blick war leer, ihr Körper bewegte sich zuckend. Obwohl Charlie wusste, dass das alles nur gespielt war, kamen ihr Zweifel daran.
    Ginny setzte sich zu Jo an den Tisch und beugte sich zu ihr hinüber. »Hallo«, sagte sie. »Sie erinnern sich doch an mich, nicht wahr? Ich bin Ginny Saxon. Sie sind in meine Praxis gekommen.«
    Jo gab einen grunzenden Ton von sich, und ihr rechter Arm flog zur Seite. Charlie stand neben Simon vor der Tür. Sie spürte die Anspannung in seinem Körper, vielleicht mehr als er selbst.
    »Ich bin nicht hier, um der Polizei zu helfen, obwohl ich der Polizei sagen musste, worüber wir gesprochen haben«, sagte die Therapeutin zu Jo. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ich glaube nicht, dass es eine vernünftige Idee ist, so zu tun, als wären Sie jemand anderes. Ich glaube nicht, dass das gut für Sie ist.«
    »Was ist, wenn sie mal muss?«, fragte die Anwältin. »Was dann?«
    »Ich verstehe, dass Sie es leid sind, sich um andere zu kümmern«, fuhr Ginny ruhig fort. »Ich begreife, dass Sie möchten, dass man sich auch mal um Sie kümmert, und das ist auch möglich. Ich werde Ihnen helfen. Andere auch. Aber nicht so. Wenn Sie mit diesem Verhalten weitermachen, werden nicht Sie es sein, um die man sich kümmert, sondern die Person, die Sie zu sein vorgeben, eine Person, die es nicht gibt. Was ist mit der wahren Jo? Hat sie nicht auch etwas Fürsorge und Aufmerksamkeit verdient, nachdem sie so lange nur für andere da war? Wenn Sie diese Frau verstecken, kann sie nicht das bekommen, was sie braucht. Jo? Ich sage ›diese Frau‹, aber ich meine Sie. Niemand kann nachvollziehen, wie Sie sich fühlen, nicht wahr? Warum erzählen Sie DC Waterhouse nicht, was Sie mir erzählt haben?«
    »Das wird nicht klappen«, murmelte Simon. Niemand außer Charlie hörte ihn. Der Radau, den Jo machte, übertönte seine Worte.
    »Als Sie zu mir kamen, waren Sie wütend.« Ginny sprach mit erhobener Stimme. »Wo ist diese Wut geblieben? Drücken Sie sie nicht mit Geräuschen aus, fassen Sie sie in Worte. Erzählen Sie uns davon.«
    »Oder erklären Sie noch einmal, dass Sie keine Aussage machen werden«, fuhr Jos Anwältin sie an. »Sie machen sich zum Narren und vergeuden meine Zeit.« Sie schaute zu Simon hinüber. »Sie alle vergeuden meine Zeit.«
    »Wie lange, glauben Sie, können Sie das durchhalten, Jo?« Ginny sprach fest und ohne jede Aggression, neutralisierte die Ungeduld der Strafverteidigerin. »Es ist eine eindrucksvolle Darbietung, aber sie lässt sich nicht aufrechterhalten. Nichts an dem Leben, das Sie geführt haben, ließ sich aufrechterhalten, und deshalb sind Sie hier gelandet – weil Sie vor der Wahrheit davongelaufen sind, statt sich ihr zu stellen. Jo? Warum sagen Sie DC Waterhouse nicht, was Ihre Mutter an Ihrem sechzehnten Geburtstag zu Ihnen gesagt hat? Hören Sie mir zu, Jo. Ich mache mir Sorgen, dass Sie sich krank machen könnten, wenn Sie …«
    Es war unmöglich für Ginny, mit den Geräuschen zu konkurrieren, die Jo von sich gab: Jämmerliches Grunzen, gelegentlich unterbrochen von schrillem Gejaule. Es waren keine Wörter, aber man hatte das Gefühl, Worte wären verzerrt und von innen nach außen gekehrt worden. Charlie erschauerte. Was machte Ginny so sicher, dass Jo nicht in der Lage war, das aufrechtzuerhalten? Und wie sollte sie es wieder aufgeben? Es war kaum vorstellbar, dass sie sich urplötzlich den Mund abwischte, ihr verzerrtes Gesicht glättete und erklärte, die Aussage verweigern zu wollen.
    Ginny hatte ihren Posten verlassen, ging zur Tür und bedeutete Simon mit einer Geste, sie müssten draußen reden. Charlie verließ den Raum als Erste und überlegte, wie sie es vermeiden konnte, ihn wieder zu betreten. Jo Uttings besondere Form von Geistesgestörtheit war die unattraktivste, die ihr in ihrer bisherigen Berufslaufbahn untergekommen war.
    »Sie haben ein Problem«, sagte Ginny zu Simon. »Ein großes.«
    »Wir haben drei abgeschlossene Fälle«, sagte er. »Sie hat gestanden.«
    »Und sie wird den Rest ihrer Tage in irgendeiner Einrichtung zubringen. Sie wird niemandem mehr Schaden zufügen. Nur das zählt. Aber wenn Sie auf ein Strafverfahren hoffen …«
    »Kommen Sie mir nicht

Weitere Kostenlose Bücher