Der kalte Schlaf
werden?«, zischte die Anwältin gereizt.
»Sie haben Amber eine Hypnotherapeutin ausgesucht. Oder vielmehr, Sie dachten, Sie hätten das getan. Amber war offenbar der Ansicht, die Praxis mit der attraktivsten Adresse, die in Great Holling, sei auch die beste. Anstatt sich zu fragen, ob es für diese Annahme irgendeinen rationalen Grund gab, drehten sie durch. Amber bekommt immer das Beste, nicht wahr? Unverdientermaßen. Sie hat Dinah und Nonie bekommen. Sie wollten nicht, dass sie auch noch die beste Hypnotherapeutin bekam, also haben Sie ihr einen Therapeuten ausgesucht – den Therapeuten, dessen Praxis in der schlechtesten Gegend lag. Amber tat so, als wäre sie einverstanden, und dann ging sie nach Hause und machte einen Termin bei Ginny Saxon aus, ihrer ersten Wahl. Sie haben ebenfalls einen Termin mit Ginny Saxon vereinbart. Nachdem Sie Amber davon abgebracht hatten, beschlossen Sie, selbst zu Ambers erster Wahl zu gehen. Bevor Amber davon anfing, hatten Sie noch nie über Hypnose nachgedacht, aber wenn es gegen Schlaflosigkeit half …«
Jo begann zu stöhnen und sich mit dem Rücken gegen den Stuhl zu werfen. Simon ging um den Tisch herum, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Das Wehklagen wurde lauter und schriller, ihr Mund war halb offen. Und was hatte sie mit ihren Augen angestellt?
»Was tut sie da?« Die Anwältin wirkte eher angewidert als beunruhigt.
Simon erhob die Stimme, damit Jo ihn über den Radau hinweg hören konnte, den sie veranstaltete. »Ginny wartet draußen«, rief er. »Wenn Sie mit mir reden, muss ich sie nicht reinholen.«
»Was ist los mit ihr? Warum kann sie ihren Kopf nicht mehr halten?«
»Sie kann schon. Sie hat beschlossen, es nicht mehr zu tun.«
»Warum zum Teufel sollte sie …?«
»Sie tut so, als sei sie ihre geistig behinderte Schwester«, sagte Simon.
*
»Wie gut kennen Sie ihn?«, fragte Ginny Saxon und musterte die geschlossene Tür des Vernehmungsraums.
»Besser als alle anderen«, erwiderte Charlie. »Aber nicht so gut, wie die meisten Frauen ihren Mann kennen.«
»Simon Waterhouse ist Ihr Mann?« Ginnys Ton hatte sich verändert: Das war ihr Holzhäuschen-im-Garten-Tonfall. Das war Ginny die Therapeutin.
»Wenn er es nicht wäre, würde ich Sie heute nicht begleiten. Ich würde mit meiner eigenen Arbeit weitermachen.«
»Machen Sie einen neuen Termin aus«, sagte Ginny. »Nehmen Sie sich die Zeit.«
Nein. Mir geht’s gut. Und du bist zu teuer.
»Ich kann Ihnen helfen. Ihnen beiden.«
»Es hätte Simon geholfen, wenn Sie ihm früher die Wahrheit über Jo Utting gesagt hätten.«
»Er hat mich nicht gefragt. Als er dann fragte, habe ich ihm gesagt, was er wissen wollte, nach einem Gespräch mit meinem Supervisor. Simon muss lernen, sich besser mitzuteilen. Er kann nicht erwarten, dass ich von mir aus vertrauliche Informationen über einen meiner Klienten weitergebe, ohne die Zusammenhänge zu kennen. Warum hat er mir nicht gesagt, dass Jo Utting eine Verdächtige in einem Mordfall ist?«
»Zwei Mordfällen«, berichtigte Charlie.
»Stattdessen hat er Amber Hewerdine dazu gebracht, ihr Auto vor meiner Praxis stehen zu lassen, in der Hoffnung, ich würde auf sein kryptisches visuelles Zeichen reagieren und Schuldgefühle entwickeln.«
»Sie hatten doch bereits Gewissensbisse.« Charlie hasste es, wenn sie sich dabei ertappte, Simon zu zitieren. »Deshalb waren Sie so bemüht, detailliert darzulegen, warum Sie Jos Verhalten besorgniserregend fanden, und deshalb haben Sie wegen Amber die Beherrschung verloren und sie rausgeworfen. Es war eine Überreaktion, die sich nur dadurch erklären ließ, dass Sie etwas verheimlichten.«
»Oder dadurch, dass ich ein Mensch bin. Simon Waterhouse weiß auch nicht alles. Obwohl ich ganz offensichtlich in eine Dimension eingetreten bin, in der das jeder zu glauben scheint.«
»Sie wussten, wie wichtig die Information war, die Sie für sich behielten«, sagte Charlie. »Sie können nicht vergessen haben, dass Simon in einem Mordfall ermittelte. Trotzdem saß er stundenlang da und hörte zu, wie Sie und Amber Jos Charakter analysierten. Tun Sie nicht so, als hätten Sie nicht gewusst, dass Jo Utting unter Verdacht stand.«
» Gewusst habe ich gar nichts. Ich habe mir Gedanken gemacht. Wenn Simon ehrlich zu sich selbst wäre, würde er zugeben, dass er auch nur Vermutungen angestellt hat. Er kann unmöglich gewusst haben, dass Jo Utting eine Klientin von mir war.«
»Doch. Er ist gut darin, Dinge zusammenzufügen,
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