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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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auf und beendete, was sie angefangen hatte. Sie schrieb ›Liebgrausam‹.«
    Gibbs erwartete, dass Amber ausrasten würde – dass sie Waterhouse, und damit auch Charlie, der Lüge bezichtigen würde. Er war überrascht, als sie einfach nickte.
    »Ich habe mit Ginny Saxon gesprochen, Amber. Sie hat mir erzählt, Sie hätten diese Worte zu ihr gesagt – ›Lieb – Grausam – Liebgrausam‹ – und sie dann beschuldigt, sie zuerst ausgesprochen zu haben.«
    »Was nicht stimmt«, sagte Amber.
    »Es stimmt nicht?«
    »Ich denke nicht, nein. Zuerst habe ich das geglaubt, weil diese Wörter mir gar nichts sagten. Ich konnte daher nicht einordnen, wieso ich das hätte sagen sollen. Sie werden das nicht verstehen, oder haben Sie sich auch schon mal hypnotisieren lassen?« Sie schaute alle der Reihe nach an. Als ihr Blick auf den Schneemann fiel, glaubte Gibbs zu wissen, was sie dachte: Wenn er schon mal hypnotisiert worden war, sollte er wieder hingehen und verlangen, dass der Hypnotiseur die Wirkung rückgängig machte.
    »Soll ich vielleicht einfach mal erzählen, was heute Nachmittag passiert ist?«, schlug Amber vor und schloss die Augen. Sie klang müde. »Sie können ja sehen, ob es für Sie mehr Sinn ergibt als für mich. Ich bin wegen meiner Schlaflosigkeit zu Ginny Saxon gegangen. Sie hat dann angefangen … ich weiß nicht, sie sagte all diesen Kram, der mich hypnotisieren sollte. Es unterschied sich nicht sonderlich von einem Entspannungs-Mantra, soweit ich das feststellen konnte. Dann forderte sie mich auf, ihr eine Erinnerung zu erzählen, irgendeine. Ich verwarf das Erste, das mir in den Kopf kam, weil … also, es spielt ja keine Rolle, warum ich das tat, ich verwarf es eben. Mein Gedankengang war ungefähr der folgende: Das Erste, was mir in den Sinn gekommen war, wollte ich nicht sagen, und ich überlegte, ob ich es vielleicht trotzdem sagen oder was ich sonst tun sollte. Und während mir das alles im Kopf herumwirbelte, hörte ich meine Stimme: ›Lieb – Grausam – Liebgrausam‹. Ich dachte: ›He? Wo zum Teufel kam das denn her? Was soll das bedeuten?‹ Ginny bat mich, es zu wiederholen, was ich tat, und dann muss ich … ich nehme an, ich muss mir eingeredet haben, dass sie es zuerst gesagt haben muss, weil … also, das hatte ich ja schon erklärt. Weil es mir gar nichts sagte.«
    »Sprechen Sie weiter«, sagte Waterhouse.
    »Ich weiß nicht genau, ob ich hypnotisiert war, aber ich war … anders als sonst. Irgendetwas Sonderbares war mit mir geschehen. Mein Verstand war irgendwie in sich selbst gefangen und lief auf Hochtouren. Ich hatte jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit verloren. Ich beschuldigte Ginny, gelogen zu haben, zog wütend ab und stieß mit Sergeant Zailer zusammen. Und als ich sie sah, dachte ich: ›O mein Gott‹. Mir fiel ihr Notizbuch ein, das ich gesehen hatte, wie sie etwas hineinschrieb, und plötzlich verschwand meine Gewissheit, dass Ginny diese Wörter gesagt haben musste, einfach so, und ich schien … genau zu wissen, dass ich sie in Sergeant Zailers Notizbuch gesehen hatte. Ich fragte sie danach, sie stritt es ab …«
    »Und dann regelten Sie die Sache ein und für alle Mal, indem Sie sich der Sachen in ihrem Wagen bemächtigten«, bemerkte Proust.
    »Ich habe nichts gestohlen«, fuhr Amber ihn an. Ihr Tonfall und die Schnelligkeit, mit der sie sich wieder Waterhouse und Gibbs zuwandte, zeigten deutlich, dass sie den Schneemann eindeutig als die unwichtigste Person im Raum betrachtete. Trotz allem fing Gibbs an, sie zu mögen.
    Was nichts daran änderte, dass er sie sich gut als Mörderin vorstellen konnte.
    »Das Merkwürdigste habe ich noch gar nicht erzählt.« Amber wirkte beunruhigt. »Als ich mit Sergeant Zailer sprach, vor Ginnys Haus, hatte ich ein höchst sonderbares Gefühl, als …« Sie unterbrach sich frustriert. »Es ist schwer zu beschreiben.«
    »Versuchen Sie es«, drängte Waterhouse.
    »Es war, als wäre mein Verstand zweigeteilt und beide Teile wüssten unterschiedliche Dinge.«
    Proust stieß einen Seufzer aus, der noch lange im Raum hing.
    »Ein Teil von mir wusste genau, dass ich diese Wörter in Sergeant Zailers Notizbuch gesehen hatte. Und das stimmte auch, ich hatte eine klare Erinnerung daran. Aber ein anderer Teil von mir hatte ganz deutlich ein Bild vor Augen …«
    »Von was? Ein Bild von was?«
    »Sie kann diese dämliche Frage kaum beantworten, während Sie sie noch stellen, Waterhouse.«
    »Von einem Blatt Papier, das von diesem

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