Der kalte Schlaf
ich keine neuen Informationen bekomme, gibt es nichts, was ich sagen könnte.«
»Sie sind eine Zeugin, möglicherweise eine Verdächtige«, teilte Gibbs ihr mit. »Wir sind keine Kollegen, die zusammenarbeiten.«
»Richtig.« Sie schüttelte den Kopf und stand auf. »Das ist richtig. Sie sind Ermittler und kommen keinen Schritt weiter. Und ich bin ein angefressenes, fix und fertiges, nicht voll ausgelastetes Humankapital, das jetzt gern nach Hause gehen würde, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nicht voll ausgelastetes Humankapital?«
»Wenn Sie mir sagen würden, was los ist, könnte ich Ihnen vielleicht helfen. Haben Sie daran schon mal gedacht? Ist Ihnen schon mal der Verdacht gekommen, dass es Ihnen eher um Macht geht als um Hilfe?«
Die Tür ging auf. Waterhouse. Und Proust. Was zum Teufel hatte der in einem Vernehmungsraum zu schaffen?
»Gott sei Dank«, sagte Amber, als hätte sie Verstärkung angefordert und die sei jetzt eingetroffen. War sie eine Verrückte, der es einen Kick gab, sich als Polizistin auszugeben? Je länger er mit ihr redete, desto weniger traute Gibbs ihr. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie eine Stange in der Hand hielt und jemandem den Kopf einschlug. Bestimmt würde sie jede Sekunde genießen.
»Ich bin DC Simon Waterhouse. Das ist DI Giles Proust.«
»Ich bin Amber Hewerdine, und ich gehe jetzt, wenn ich nicht mit jemandem reden kann, der nicht er ist.« Sie wies auf Gibbs.
»Und warum das?«, fragte Waterhouse.
»Wir kommen nicht weiter. Er teilt mir nur ununterbrochen mit, dass er mich hasst und alle seine Freunde mich hassen.«
»Das würde er nie tun«, widersprach Waterhouse.
»Er hat die offizielle Polizeiversion benutzt.« Ungefragt begann Amber, ihre Befragung durch Gibbs wiederzugeben. Unglaublich detailliert. Hatte sie ein fotographisches Gedächtnis? Gibbs gab Waterhouse mit einem Nicken zu verstehen, dass ihre Schilderung zutreffend war: ein fast exaktes mündliches Protokoll.
»Ich glaube, da hat es ein kleines Missverständnis gegeben«, sagte Waterhouse.
»Nein, hat es nicht!«, fuhr Amber ihn an. »Ich habe ihm jede Gelegenheit gegeben, einzusehen, dass …«
»Geben Sie mir Gelegenheit, zu erklären, was ich meine.« Ein höflicher Befehl. »Wenn Sie bereit wären, noch ein wenig zu bleiben, könnten wir, glaube ich, weiterkommen.« Er bedeutete ihr, sich wieder zu setzen.
Sie blieb stehen und drehte sich zu Proust um. »Und was haben Sie für ein Problem?«
»Würden Sie sich bitte beruhigen?«, sagte Gibbs. »DI Proust hat nichts gesagt oder getan.«
»Abgesehen davon, dass er mich mit seinen radioaktiven Augen anstarrt, als hielte er mich für einen Untermenschen.«
»Das denkt er nicht«, versicherte Waterhouse. »Er guckt immer so. Wenn ich Mutter Teresa in den Raum schieben würde, würde er sie genauso ansehen.«
Gibbs fragte sich, ob er und Waterhouse wohl wegen dieser Sache ihre Jobs verlieren würden. Waterhouse schien ja ganz erpicht darauf, seinen Job loszuwerden. Entweder das, oder er war psychotisch geworden. Wenn Gibbs durch seine eigene Dämlichkeit rausflog, würde seine Frau Debbie ihn sicher auch rausschmeißen. Ihre Mutter wollte sowieso, dass sie ihn verließ, und normalerweise hörte Debbie auf ihre Mutter. Und er war sich fast sicher, dass es auch das war, was er wollte.
War Mutter Teresa nicht schon vor Jahren gestorben?
»Kennen Sie das Bewertungssystem an den Universitäten? Bei 100 Prozent hat man die beste Note erreicht?«, wollte Waterhouse von Amber wissen.
Sie nickte.
»Ich habe schon mit sehr vielen Leuten gesprochen – Verdächtigen, Zeugen, Opfern und Tätern. Mit Bürgern und anderen Polizisten. Ich möchte niemanden beleidigen, aber die meisten verfügen nicht über besonders gute kommunikative Fähigkeiten. Sie wären überrascht, wie schlecht die Kommunikationsfähigkeit vieler Leute ist, auch wenn sie über eine hohe Intelligenz verfügen.«
»Nein, wäre ich nicht.« Amber kehrte zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich.
»Sie haben uns gerade einen Bericht über den Verlauf des Gesprächs zwischen Ihnen und DC Gibbs gegeben, und dabei wird eines offensichtlich: Ihre kommunikative Kompetenz ist außerordentlich hoch. Ich würde sie unter den ersten 0,1 Prozent einstufen. Und da Sie selbst außergewöhnlich gut kommunizieren können, glauben Sie daran, dass sich mithilfe von Kommunikation vieles klären lässt. Wenn nur alle an Ihr hohes Niveau heranreichen würden, gäbe es nichts, was
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