Der Kalte
vertraut.
Edmund modifizierte sein Küchenregime, indem er nun das gemeinsame Frühstück zubereitete. Zum Kaffee kochte er für Rosa ein Ei, von dem sie die Hälfte zu sich nahm. Für sich selbst schlug er zwei in die Pfanne, gab Käse und Schinken dazu, sodass er vormittags im Korb nur noch einen oder zwei Doppelmokka trank. Hie und da erschien er unvermutet bei Rosa in der Buchhandlung und lud sie ins Rebhuhn zum Mittagessen ein. Dort aß sie meist nur ein Süppchen, während es bei ihm schon Schnitzel oder Gulasch sein musste.
»Du siehst gehetzt aus«, sagte sie unlängst, senkte aber den Kopf, denn sie wusste, dass er solche Sätze nicht mochte.
»Ich bin gehetzt«, antwortete er mit freundlicher Stimme. »Ich muss noch etwas tun, und ich weiß nicht wie.«
»Du hast so unendlich viel getan«, sagte sie. »Ohne dich wären die Proz –«
»Brachte nichts«, unterbrach er, schroff geworden, »bringt nichts. Ist für die Wanzläus. Entschuldige, was rede ich. Es stimmt nur etwas nicht.«
Rosa nickte unmerklich und schwieg.
Ende November begannen ihn seine Träume aufs Neue abzurastern. Rosa lief wieder ins Bad, um sein Gesicht mit dem Waschlappen vom Nachtmahr zu befreien. Er aber ließ sie in ihren Träumen allein, wie in den Monaten davor, ging ohne Frühstück weg, und seine Gedanken trieben wiederum in stummen Gewässern, verkrusteten in kalten und gefrierenden.
Schließlich erhob er sich eines Abends aus dem Fernsehsessel, ging ohne ein Wort aus dem Haus und strebte zur Salztorbrücke. Es graupelte, ein steter Wind blies ihn von der
Seite her an. Er ging über die Brücke und hielt seinen Hut fest. An der Uhr vom Schwedenplatz sah er, dass es viertel elf war. Er erreichte die Rotenturmstraße und ging seinen gewohnten Weg bis zum Stephansplatz. Dort wehte der Wind ihm kräftig ins Gesicht. Er ließ die Brandstätte rechts liegen, ging in die Kärntner Straße hinein und vor bis zur Johannesgasse. Hier bog er links ein und musste anhalten. Sein Atem ging zu schnell, er wollte ihn im Stehen beruhigen, drehte sich um und sah auf zum Dach eines Hauses in der Kärntner Straße. Dort hockten neben dem Schornstein drei Männer, umwickelten diesen mit Draht und warfen ein Paket in ihn hinein.
»Es ist zu früh«, brüllte Fraul hinauf.
»Es ist zu spät«, brüllten die Männer zurück. »Du denkst nur an dich und deine Genossen. Wir können nicht mehr warten. Schau doch!«
Fraul drückte sich ins nächste Haustor, da explodierte der Schornstein. Alle drei Männer flogen in hohem Bogen vom Dach. Im Fluge sah er zwischen den Graupeln ihre blauweiß gestreifte Kluft und die gelben Winkel an den Häftlingsblusen. In der Johannesgasse startete ein Auto mit knatterndem Auspuff und fuhr rückwärts aus dem Parkplatz, zugleich erhob sich ein Schwarm aufgeschreckter Tauben, die auf den Dächern und um die Schornsteine geschlafen hatten. Fraul wartete, bis der Wagen wegfuhr, ging, indes sein Atem sich beruhigte, dem Auto nach, querte die Seilerstätte, den Ring, marschierte am Hotel Intercontinental vorbei zum Heumarkt, überquerte auch ihn und blieb stehen. Vor ihm schlich sich die kleine verhungerte Ölzeltgasse zum Eck vor. Links neben ihr protzte die Salesianergasse. Edmund zögerte, sah hin zum Eck, hinter dem die Gasse rechts weiterverlief. Der Lagergeruch war stark zu spüren, er ging vollständig in die Ölzeltgasse
hinein, bog ab und folgte seinem Blick, der das Haustor mit der Nummer acht suchte. Als er davor stand, nahm er den Hut vom Kopf und wischte sich den Schweiß ab. Er sah hoch. Aus keinem der Fenster schien Licht. Er wartete. Allmählich verflüchtigte sich der Geruch in seiner Nase. Nach einiger Zeit kam eine junge Frau mit ihrem Begleiter, stellte sich vor dem Haustor auf die Zehenspitzen, küsste den Mann und verschwand im Haus. Der Mann sah einen Moment zu Fraul hinüber und ging davon. Im zweiten Stock wurde es hinter einem Fenster licht. Um Mitternacht löste sich Fraul aus dem Schatten des Hauses, trat unter die Straßenlaterne und verließ die Ölzeltgasse. Daheim angekommen, saß Rosa im Lehnstuhl, ihr Buch im Schoß, und schlief. Er berührte sie an der Schulter, sie nickte, stand auf und ging ins Badezimmer. Er sah zum Fenster hinaus und in den Novemberhimmel.
Nach der glanzvollen Premiere von Bernhardi, die Premierenfeier war es weniger, bin ich nach längerer Zeit wieder mal mit zu Karel in die Margaretenstraße gegangen. Ich spürte ihn tief in mir, ich hatte das Gefühl,
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