Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
Mal?«
    »Den Bernhardi ja. Den Doktor Löwinger hatte ich vor Jahren in Essen gemacht. Unter dem grauenhaften Köckerensen.«
    »Wer war dort der Bernhardi?«
    »Ich weiß nicht mehr. Ich glaube Hans Albers.« Judith lachte.
    »Einer, der ihn darbot, als wäre er Hans Albers. War so gewollt von dem schrecklichen Köckerensen. Schwamm drüber.«
    Dauendin beugte sich vor, näherte sich Judiths Gesicht.
    »Wollen Sie mit mir über Essen sprechen?«
    »Wir reden doch noch en passant.«
    »Lassen Sie das mich bestimmen, oder wir machen es gar nicht.«
    »Sie können das Gespräch gern mit jemand anderem führen«, sagte Judith laut und schaltete das Tonbandgerät ein. Felix sah ihr dabei zu. Er straffte sich vollends, ging zum Fenster, kam zurück, berührte unabsichtlich Judiths Haar, welches sie sofort zurückwarf, setzte sich.
    »Nun«, sagte er.
     
    Nach einer Dreiviertelstunde hatten sie den üblichen Gesprächsbogen absolviert. Dauendin war sehr entspannt, und immer wieder streute er, dem Humor bei Interviews nicht besonders geläufig war, Anekdoten ein, welche ihn immer ungeschickter erscheinen ließen, als er war, dümmer, lauter. Judith störte es etwas, dass er seine Scherzchen mit einem Gelächter und einem kurzen Glucksen abschloss. Als es läutete und die Vandenbeck hereinkam, zog sich Judith zum Fenster zurück. Eine Position wünschte sie sich, sagte sie zu Vandenbeck, die Dauendin einnehmen solle: Er möchte so gut sein und mit aufgesetztem Borsalino auf
ein Buch, das in seiner Bibliothek eingereiht war, greifen, es aber nicht herausziehen und mit den Augen dabei nach oben schauen. Vandenbeck fand die Idee abstrus und interessant. Zischka blieb beim Fenster stehen, ging schließlich hinaus und sah in der Küche Astrid von Gehlen sitzen und einen Apfel essen. Sie schaute die Diva fragend an.
    »Das Bad ist zweite Tür links.« Als Judith zurückkam, zielte Astrid mit dem Apfelbutzen zum Mistkübel und traf. Beide Frauen lächelten, Judith kehrte zurück und wartete. Vandenbeck schoss weiter an ihrer Serie und verabschiedete sich schließlich.
    Im letzten Teil des Gesprächs wollte Judith auf die gegenwärtige politische Situation eingehen. Die Platzierung des Professor Bernhardi sei zum jetzigen Zeitpunkt kein Zufall. Wie stehe Felix Dauendin zum neuen Präsidenten Johann Wais?
    Die Ansetzung dieses Schnitzlerstücks wäre sowohl schon längst geplant als auch eine spontane Idee von Scherfele gewesen, ließ sich Dauendin vernehmen. Das hieße einmal so, einmal so. Es sei ein herrliches Stück zu Ehren Schnitzlers, den die Wiener aber auf eine etwas schlampige Weise lieben würden. Das Schmierende, welches alle Schnitzlerstücke in Wien notorisch hätten, würde es bei Dietger und ihm nicht mehr geben.
    Ob aber nicht mit dem Antisemitismus auf der Bühne ein Statement des Theaters zur herrschenden Lage gegeben werde?
    Dauendin schwieg. Er führte Judith in ein anderes Zimmer mit einer Loggia. Er deutete auf die im spärlichen Blätterkleid sich wiegenden Buchen im rückwärtig gelegenen Garten. Die Sonne warf ihr kaltes Novemberlicht auf das Gezweig. Dauendin hob seine Stimme, beteuerte, dass es sich um ein zeitloses Stück über Vorurteile, über Ressenti
ments handele. Seines Wissens hätte es mit »Eurem Präse Wais« nur bedingt zu tun, aber es bliebe Hinz und Kunz unbenommen, sich dabei was zu denken, was im Theater gelegentlich ohnehin nicht schade.
    Judith spürte, wie ihr der Ärger hochstieg und ihr Gesicht einzuflecken drohte. Sie wandte sich ab, sprach zur Bücherwand, ob es noch immer zeitgemäß sei, dass Schauspieler sich unpolitisch, sprich: ahnungslos gäben.
    Dauendin nahm sie an den Schultern, drehte sie zu sich herum und begann eindringlich auf ihr Gesicht draufzureden. Er sei nicht unpolitisch, er sei nicht parteiisch. Er lasse sich nicht auf lachhaft vordergründige Art für eine politische Meinung skalpieren, er zöge auch in brisanten Zeiten die Nuance vor, welche dann sich auf das oder jenes schlage, dem Nachdenken und Nachspüren eine Witterung gebe. Außerdem sei er in Wien und nicht in Ostberlin.
    Judith lachte ihm ins Gesicht. Sie erzählte ihm en passant vom Club Diderot – Anderes Österreich. Sie weihte ihn in das Pferdprojekt von Krieglach ein.
    »Was?«, lachte Dauendin, »Krieglach wird mit Hammer und Amboss auf den Präse gehetzt?«
    »Der hetzt sich selber. Die Intellektuellen, die Künstler stehen eben auf gegen einen Lügenschippel als – wie sagen Sie –

Weitere Kostenlose Bücher