Der Kalte
in den achtzehnten Stock. Er war am Sitz des Jüdischen Weltkongresses angekommen, wie stets Dienstag und Donnerstag. Er setzte sich hinter seinen riesigen Schreibtisch, auf dem bloß ein Telefon stand. Er griff zum Hörer und tätigte zwei Anrufe. Danach drückte er einen Knopf, und die Sekretärin trat ein. Er begann zu diktieren.
Als Tschonkovits bei Maxmann eintraf, legte der den Hörer auf die Gabel zurück.
»Haben Sie mir den Braunschweiger an den Hals gehetzt?«, fuhr er den Eintretenden an.
»Einen schönen guten Tag wünsche ich Ihnen. Haben Sie gut geschlafen?«, sagte Tschonkovits, und statt vor dem riesigen Schreibtisch Platz zu nehmen, schlenderte er zum Tisch zwischen den beiden Fenstern und ließ sich im roten Plüschfauteuil nieder. Maxmann schaute auf seine Schreibtischuhr, kratzte sich am Kinn.
»Ich erwarte in zehn Minuten Abi Meyer. Und der trifft zum Lunch den Präsidenten.«
»Ich dachte, er frühstückt bloß mit ihm.«
»Ich halte die Angelegenheit für wichtig, und sie eilt auch.
Sie sind mir ein schöner Ezzesgeber.« Maxmann richtete seinen Blick nach oben. »Er hetzt mir die Wiener Juden an den Hals.«
»An Ihrem Hals ist genug Platz«, sagte Tschonkovits und lächelte.
»Was haben Sie denn? Weshalb sind Sie so störrisch? Wie reden Sie überhaupt mit mir?«
»Herr Maxmann, ich rede mit Ihnen wie mit einem, der nicht weiß, was er drüben anrichtet. Sie erzeugen in Österreich neuen Antisemitismus. Das ist Ihnen nicht klar. Sie wollten mich als Berater, wie man den Wais bekämpfen soll. Sie aber bekämpfen das österreichische Volk, weil es ihn gewählt hat. Dieses Volk hat ihn aber fast zur Hälfte nicht gewählt.«
»Ich, Isaac Maxmann, erzeuge neuen Antisemitismus? Sie sind verrückt. Nicht Johann Wais ist der Rischesmacher, sondern der Maxmann.«
»Verzeihen Sie. Rischesmacher?«
»Risches sind böse Dinge. Judenhass zum Beispiel. Es gibt keinen neuen Judenhass. Es gibt nur neue Leute, die ihm frönen. Da ist doch jeder Anlass recht. Muss ich Ihnen einen Vortrag über die Geschichte des Judenhasses halten? Wenn die Österreicher diesen Wais wählen, müssen sie die Konsequenzen tragen.«
»Salomon Braunschweiger teilt meine Einschätzung.«
»Da irren Sie sich. Salo weiß so gut wie jeder Jud auf der Welt, dass die Antisemiten den Judenhass machen und nicht die Juden. Aber er will halt seine Ruhe haben als Präsident der Kultusgemeinde. Die kann er nicht kriegen. Da muss er woanders hingehen. Wenn einer sich in Österreich niederlässt, hat er einiges zu gewärtigen.« Maxmann schwieg einen Moment und besah sich seine Fingernägel.
»Abi Meyer bringt übrigens den Aisik mit«, fuhr er fort.
»Der ist aber offiziell gar nicht da. Aber zu Ihnen gesagt, er bringt ihn deshalb mit, weil es uns ganz ernst ist mit der Watchlist. Wir kriegen das durch, so wahr ich hier den Laden schmeiße.«
Tschonkovits war während der letzten Worte aufgesprungen. Nun pflanzte er sich vor Maxmann auf und rief:
»Sie sind doch voller Ressentiments. Sie wollen doch bloß, wie soll ich mich ausdrücken, also Sie wollen bloß –«
»Sprechen Sie es ruhig aus, junger Mann«, unterbrach Maxmann, »ich will Rache, nicht wahr? Rache für meine ermordeten Leute. Das glauben Sie? Wissen Sie was? Schauen Sie, dass Sie rauskommen.«
»Moment«, antwortete Tschonkovits. »Stopp! Wir hatten seit einem Jahr auf der Basis kooperiert, dass Johann Wais als Präsident verhindert werden soll. Das ist nicht gelungen. Jetzt sollten wir ihn einerseits isolieren, andererseits endlich herausfinden und beweisen, dass und ob er an Verbrechen mitgewirkt hat.«
»Er hat an Verbrechen mitgewirkt. Verlassen Sie sich drauf.«
»Es reicht doch nicht, dass er 1c am Balkan war. Es reicht nicht einmal, dass er von den Deportationen in Thessaloniki gewusst hat, weil er dort war, wenn wir ihm nicht nachweisen, dass er aktiv daran mitgewirkt hat, das wissen Sie doch auch.«
»Eine milde Auslegung. Eine österreichische Auslegung. Überall dabei, nichts gemacht.«
»Ach gehen Sie, Herr Maxmann. Das Moralische ist das eine, das Juristische das andere.«
Isaac Maxmann schwieg wiederum. Er sah den aufgebrachten Mann vor sich an, er spürte, wie ihm die Kälte von den Knochen in die Brust kroch.
»Drüben nannte man Sie gelegentlich Zauberer, stimmts«,
sagte er dann. »Zaubern Sie, Tschonkovits. Simsalabim, und in Österreich gibts keine Antisemiten mehr. Simsalabim, die Juden sind wieder da. Simsalabim, alles wird
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