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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Präse! Ich habe diese Inszenierung auch so verstanden.«
    »Kein Kommentar. Ich bin Schauspieler.«
    »Nur ein Schauspieler«, sagte Judith.
    »Sie sind eine Übergescheite. Sie mögen recht haben. Wenn Sie meine überzeitliche Darlegung der Gemengelage für Ihre Kampagne brauchbar finden, bitte schön.«
    »Ich habe Sie stets geschätzt und zumeist verehrt«, sagte Judith Zischka. »Aber Sie veralten, entschuldigen Sie, wenn ich das ausspreche. Besser gesagt, Sie drohen zu veralten.«
    »Großartig«, sagte Dauendin und pfiff durch die Zähne. »Sie sind eine moderne junge Frau. Kann alles. Weiß alles. Will alles.«
    Judith packte ihre Sachen zusammen. Sie musste sich eingestehen, dass ihr dieser blöde Dauendin gefiel, wie er von einer Minute zur anderen sein Gesicht veränderte, sich energisch ihr zuwandte oder mit Fürstengeste auf seinen Hinterhofgarten wies. Seine Augen waren etwas verhangen, seine Lippen weich und kantig zugleich. Nun näherten sie sich ihrem Mund, und Dauendin küsste sie. Judith wich zurück, warf ihr Haar nach hinten. Einen Augenblick sahen sie sich an. Sie drehte sich mit ihren Sachen zur Tür.
    »Auf Wiedersehen, Frau Zischka«, sprach Dauendin mit nüchterner Stimme hinter ihr her. Judith kehrte um, ließ das Tonbandgerät auf den Tisch gleiten und ging in Dauendins Arme, die sich wie selbstverständlich ausgebreitet hatten und sie nun einschlossen.
    13.
    Isaac Maxmann ließ sich von seinem puertoricanischen Chauffeur Alfio in eines seiner Büros fahren. Von seinem Wohnsitz in Hackensack, New Jersey, ging es hinein nach Manhattan. Er döste, und im Dösen fiel ihm der Traum ein, jener Traum, der wiederkehrte, seit er neunzehnsechsundvierzig vom Schicksal seiner in Griechenland verbliebenen Großeltern erfahren hatte. Seine Eltern waren Anfang der Zwanzigerjahre aus Thessaloniki nach Kanada ausgewandert. Sein Vater David nutzte die Prohibition in den USA , um in Kanada eine Spirituosenfabrik zu errichten. Im kleinen Ort Waterloo im Staat Ontario wurde Isaac neunzehn
achtundzwanzig geboren. Seine Mutter Rifka, die alle Welt Eleni nannte, schrieb immer lange Briefe nach Griechenland an ihren inniggeliebten Tate, den Kleinunternehmer Avraham Zeymour. Stets sprach sie von ihrem Vater, und sie beschwor ihn, beschwor ihren Mann, nachdem die Maxmanns zu Reichtum gekommen waren, ihre Eltern nach Kanada zu holen. Isaac wusste lange nicht, weshalb sein Großvater immer wieder versprach nachzukommen und doch in Thessaloniki blieb. Als Zehnjähriger fuhr er mit seiner Mutter dorthin, lernte den kleinen dicklichen Opa kennen. Der roch stets nach Tabak und redete ohne Unterlass. Seine Oma saß daneben oder brachte das Essen zum Tisch, schwieg oder sang dem kleinen Isy fremd und süß klingende Lieder zur guten Nacht. Später bekam Isaac heraus, dass er damals Rembetiko gehört hatte. Sie blieben einen Monat in Saloniki, es kam ihm noch heute so vor, als wäre er ein Jahr dort gewesen. Ein gleichaltriges Mädchen mit blonden Haaren und schwarzen Augen war ihm beigesellt; sie hieß Melina Kosmos, mit ihr lief er durch die Straßen. Seine Mutter schrie einmal mit ihrem Vater, als sie alle beim Essen saßen und Radio hörten. Österreich war von Hitler überfallen worden. »Er wird ganz Europa fressen«, schrie sie, oder schrie sie das bloß im wiederkehrenden Traum? Jedenfalls blieben die Großeltern, wo sie waren, und gerieten alsodann neunzehndreiundvierzig in den Höllenschlund. Sie mussten ins Baron-Hirsch-Viertel ziehen, wurden nach Auschwitz deportiert und gingen durch einen der Schornsteine von Birkenau.
    Im Traum sah er sie an der Rampe stehen. Anfangs sah die Rampe aus wie der Hinterhof im Elternhaus von Melina Kosmos, und Melina stand in der Kellertür, die zum Hof hin offen stand. Später kauerte sie in einem kleinen Garten, der an den Hof angrenzte und den es in Saloniki dort nicht
gab. Nachdem er Bilder von Birkenau gesehen hatte, rückte dessen Rampe in sein Traumbild und blieb seither dort unverändert. Stets wurden die Großeltern von Melina fortgerissen, Melina wurde nach links getrieben, die Großeltern nach rechts. Ein Schäferhund ging hinter der Zehnjährigen her, schnüffelte an ihrem Gesäß und knurrte. Der SS -Mann riss das Tier zurück, Melina drehte sich um und winkte der Kolonne nach, die schweigend zu den Gaskammern trottete. Stets rief sie Maxmanns Namen; inmitten des langezogenen Tonmonuments, aus dem das Wort I-s-y herausklagte, wachte er auf.
    Mit dem Lift fuhr Maxmann

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