Der Kalte
zurück ins Spital. Schwester Beate sah mich erschrocken an, ich lief an ihr vorbei, zurück zum Aufzug, fuhr in den fünfzehnten Stock zur Garderobe, zog mich um, ging noch rasch auf die Toilette, denn der Gedanke, in Karels Wohnung pischen zu müssen, war mir unerträglich. Auf der Brille wurde mir klar, dass ein unnützer Mensch,
ein ganz und gar verlassener, sein Wasser ließ. Ich selbst bin von mir gegangen und habe mich als mistige Hülle zurückgelassen, deren einziger Zweck es ist, zu scheißen und zu pissen. Prompt reagierte die Peristaltik auf diesen trübsinnigen Gedanken; unter heftigen Krämpfen füllte ich die Klomuschel. Es war nicht auszumachen, ob die Koliken Produkte der Bitterkeit waren oder ob mein Körper als der von mir zurückgelassene Naturzustand sich ohne Scham ausdrückte. Draußen kam jemand herein und ich hörte eine Stimme.
»Ist Ihnen nicht gut?« Dazu schwieg ich, bis niemand mehr da war. Ich presste die Zähne zusammen, kam hoch, wusch mir lange Hände und Gesicht, versuchte meine Züge in die Lächelmaske zu zwängen, fuhr wieder hinunter zur Station, sagte im Vorübergehen am Weg zum Aufzug zu Schwester Beate, dass alles in Ordnung sei und auf Wiedersehen.
Kaum saß ich im Honda, begann leichter Schneeregen die Windschutzscheibe zu bearbeiten. Vor Karls Haus war eine Parklücke. Das beruhigte mich. Als ich vor seiner Wohnungstür stand, musste ich überlegen, ob ich anläuten sollte, für den Fall, dass er daheim wäre. Ins Gevögel mit seiner Gräfin wollte ich nicht hineinplatzen. Andrerseits tät mir das vielleicht gut, wenn ich die beiden störte. Ich könnte mir das Gewand herunterreißen und mich dazulegen. Mir fiel auf, dass es mich gleichermaßen erregte, ob ich die beiden mit zerschmetterten Schädeln am Gehsteig liegen sah oder ineinander verknäult. Ich musste es bloß sehen, ich musste dabei sein. Überhaupt, ich will endlich in meinem Leben dabei sein und nicht bloß die Körperhülle hinter mir herziehen, die dann außer den elementaren Funktionen noch zusätzlich als Sprech- und Grinspuppe zu fungieren hat. Ich sperrte Karls Wohnungstür auf, ging rasch hin
ein, ließ die Tür offen stehen. Sofort hörte ich sein Schnarchen. Ich machte Licht im Schlafzimmer, ging vor zu seinem Bett und sah, dass er im Gewand quer über der Bettdecke wie hingeschmissen auf dem Bauch lag. Sein Hintern bewegte sich auf und ab, dazu röchelte, gurgelte und rasselte er. Ich ging zur Tür zurück und blieb stehen.
Von dort sah ich mir zu, wie ich unter Schluchzen losstürmte und wild auf seinen Hintern einschlug, ich hörte die Satzfetzen, die sich mir aus dem Mund schleuderten:
»Wach auf – Arschloch – besoffenes Schwein – Hurenkerl.« Dabei schlug ich immer weiter in seine Jeans hinein, bis er mit dem Schnarchen aufhörte, zu brummen begann und sich schwerfällig, aber entschieden meinen zuschlagenden Händen entwand. Dabei fiel er aus dem Bett, während ich nun drauf lag und heulte. Ich versuchte damit aufzuhören; dazu war es nötig, von der Tür zu mir ins Bett zu kommen, in mich hineinzukriechen, um in mir irgendwo einen Kippschalter zu finden, die Heulerei abzudrehen. Ich beruhigte mich nach einigen Minuten und sah hoch. Karl stand hohlwangig und bleich an die Wand gelehnt und stierte mir ins Gesicht.
»Deine Mutter liegt im Sterben«, sagte ich.
»Sehr lustig«, antwortete er mit schwerer Zunge. »Kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Ich hab dich satt, Margit, so satt, so satt.«
Ich rappelte mich hoch, kam ins Knien und schrie: »Hörst du mir zu?«
»Warum gehst du nicht?«, sagte er und schaute mir dabei in den Ausschnitt. »Was hast du gesagt? Was ist mit meiner Mutter?« Seine Augen weiteten sich, als wäre erst jetzt meine Nachricht an ihn herangekommen. Er ging um das Bett herum, wollte sich die Jeans ausziehen, fiel aufs Bett und tat dort weiter.
»Ich muss duschen«, sagte er mit klarer Stimme und ging zum Bad, zog sich im Gehen noch das Leiberl über den Kopf. Das waren andere Zeiten, dachte ich mir, während ich ihm nachschaute. Ich ging hinter ihm her, sah von der Badezimmertür aus zu, wie er sich unter dem Duschstrahl schlängelte, auf Kalt drehte und heftig atmend sich beprasselte. Als er das Wasser abdrehte und über den Badewannenrand herausstieg, stand ich mit verschränkten Armen vor ihm und musste an mich halten, sonst wäre ich gegen seine Brust gestürzt, hätte ihn an mich gedrückt.
»Was ist passiert?«
»Zieh dich an. Ich bring dich ins
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