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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Erev.«
    »Effef?«
    Während sie in sein Ohr hineinzuflüstern begann, bemerkte Stefan, dass ihn die Gäste in Augenschein nahmen. Er wollte Dolly fragen, was er hier verloren habe, doch sie tat ihren Mund nicht von seinem Ohr weg.
    »Du bist unser Ehrengast. Papa wird dir erklären, wie das geht, was wir tun und warum. Es ist schön. Freu dich.«
    Sie wandte sich den anderen zu und sagte laut: »Stefan ist das erste Mal bei einem Seder.«
    Die Gäste lächelten ihn an, nickten, und einer wie der andere sagte ihm »Willkommen« und »Herzlich Willkommen«. Zwei ältere Frauen, welche, wie Stefan später feststellte, Schwestern waren, nickten ihm zu, dann wandte sich die Jüngere zur Älteren und sagte nicht allzu leise:
    »A Goi.«
    Dolly beugte sich wieder zu seinem Ohr hin: »Das Pessachfest ist offen. Nichtjuden sind willkommen. Was hast du denn?«
    »Gar nichts«, sagte er tonlos und verzog seinen Mund.
    »Seitdem das Wispern aufgekommen ist, hört man kein lautes Wort mehr«, sagte Cilla Segal schmunzelnd in die Runde. Man lachte. Ernst Segal sah auf die Uhr.
    »Wo bleiben die Samuelis?«
    »Fangen wir einstweilen an«, sagte Cilla. »Bitte sehr.« Und sie wies die Gäste ins Esszimmer. Die Sitzordnung war festgelegt und durch Namensschilder, die in silbernen Haltern oberhalb der kunstfertig gefalteten orangenen Servietten steckten, angezeigt.
    Alle hatten vor sich ein Glas stehen, in welchem einigen nun Rotwein eingegossen wurde, anderen und den drei Kindern Traubensaft. Während Ernst Segal den Kiddusch sprach, betrachtete Stefan die angerichteten Dingerchen, die auf dem lang ausgezogenen Tisch angeordnet waren. Dolores hob ihr Glas, lehnte sich zu Stefan, der seinen rechten Arm um ihre Schultern legen wollte. »Lehn dich auch nach links, bevor du trinkst«, flüsterte sie.
    »Gehen wir davon aus, dass sich alle die Hände gewaschen haben«, sagte Cilla Segal und lächelte einen nach dem anderen in der Runde an. Stefan stand auf, und wieder wurde er dabei rot im Gesicht.
    »Aha«, machte Cilla. »Zeig es ihm, Dolores.«
    Dolly führte Stefan zum Badezimmer. Bevor er es betrat, sagte er zu ihr:
    »Wieso hast du mir nicht gesagt, dass ihr hier einen Ritus abhaltet? Ich bin hier unnötig. Ich wasche mir jetzt die Hände und geh wieder. Sag denen, mir ist übel.«
    »Unsinn«, sagte sie laut und küsste ihn, während sie ihm durch seine Haare fuhr. »Wir feiern heute den Vorabend von Pessach. Wir feiern den Auszug aus Ägypten. Alle Juden der Welt und viele ihrer Freunde feiern mit ihnen das Ende der Knechtschaft unter den Ägyptern. Das ist kein Geheimritus, das ist ein Freudenfest und ein gutes Essen.«
    »Du hättest es mir vorher …«
    »Sei nicht bös, es sollte eine Überraschung sein.«
    »Und was ist jetzt mit unserer Verlobung?«
    Kaum hatte Stefan das gesagt, wollte er es wieder in seinen Mund zurückstecken. Doch bevor Dolores antworten konnte, erschienen die beiden Schwestern, die sich nach einigem Hin und Her entschlossen hatten, sich nochmals die Hände zu waschen, um den jungen Mann weiter mustern zu können. Stefan verschwand vor ihnen im Bad, wusch sich die Hände und wusste nicht, was er nun tun sollte. Dolores und die beiden Schwestern Schmelczer kamen ihm nach, standen still, während er sich die Hände abtrocknete. Das Glockenspiel erklang, und ein Serviermädchen eilte, um die Tür zu öffnen. Vater, Mutter, Sohn Samueli erschienen, neben dem jungen Boaz ging seine blonde Freundin Sissy. Vor der Badezimmertür reichten sich alle die Hände und nannten ihre Namen, und schließlich kehrte die ganze Gruppe zum Esstisch zurück. Die Samuelis begrüßten nun reihum den Rest der Anwesenden, alles saß schließlich und endlich. Bloß links neben Stefan blieb ein Sessel unbesetzt.
    Boaz Samueli und Sissy kamen gegenüber von Stefan und Dolly zu sitzen, und Boaz begann mit großer Geschwindigkeit erst Sissy und nach einem kurzen Blick auch Stefan die Speisen und ihre Bedeutung zu erklären. Der Vorsitzende Segal, welcher sich eben anschickte, eine Broche für Karpas zu sprechen, hielt inne und sah mit schiefem Kopf auf Boaz, welcher seine Erklärungen beschleunigte, sich dabei erhob, mit der rechten Hand auf die verschiedenen Tellerchen und Schälchen wies und sich dann schnell niedersetzte. Segal sprach alsdann den Segen, und alle begannen, Petersilie in salziges Wasser zu tauchen und zu verspeisen.
    Cilla nahm hernach von der mittleren der drei Matzen, brach diese in zwei ungleiche Stücke,

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