Der Kammerjäger
elektronischen Schutzring und die Mauer überwunden und schon die halbe Strecke zum Palast reibungslos zurückgelegt hatte. Es war jedoch eine kurzlebige Euphorie. Nachdem die Schußsalven in den Anden verhallt waren, wurde der kugeldurchsiebte Attentäter von den wilden und hungrigen Hunden bis auf die Knochen zerfetzt.
Während Ronaldo über der verstümmelten Leiche stand, wandte er sich zu seinem Bruder und sagte: «Stolz, mein kleiner Bruder, kommt vor dem Falb
Aber wie sich herausstellte, kannte Miguel seine Sprichwörter besser als Ronaldo: «Genau heißt es eigentlich: Es folgte auf dem Weg in den Palast zurück eine pedantische Debatte über das Zitieren und Paraphrasieren.
Das war vor fast einem Jahr gewesen. Seitdem hatte es keine Sicherheitslücken mehr gegeben, und der aktuelle Mordauftrag der CIA gegen Ronaldo wegen den ausbleibenden Zahlungen war kein Grund zur Aufregung. So dachten sie zumindest.
Es war nach Mitternacht, als der ganz in Schwarz gekleidete Mann mit der Ski-Mütze auf Ronaldos Balkon stand und nach unten sah. Seltsamerweise zog er einen Enterhaken hervor, befestigte ihn am Geländer und warf das Seil nach unten auf den Boden.
Dann probierte der maskierte Mann die Tür zum Zimmer. Verdammt! Sie war abgeschlossen. Er versuchte es bei einem Fenster in der Nähe. Es war offen. Der Mann kletterte hinein.
Einen Moment später war er im Schlafzimmer und lauerte bedrohlich am Fuß von Ronaldos Bett. Dieser, der wegen seines Appetits für Alkaloide nie gut schlief, spürte etwas und erwachte und tastete nach dem Lichtschalter. Als der Raum mit harten fünfundsiebzig Watt beleuchtet wurde, sah er den Mann in Schwarz seine Waffe heben.
«Madre de Dias! No!» flehte Ronaldo vergeblich.
FUMP! FUMP! Zwei schallgedämpfte Schüsse, ein toter Drogenbaron.
Der Mann in Schwarz spähte durch die Tür und schlüpfte seelenruhig auf den Flur hinaus. Er schlich den Flur hinunter und verschwand in Miguels Zimmer.
Drinnen knipste er das Licht an und zog seine Ski-Mütze ab. Es war vielleicht der einzige Mann, der in der Lage war, die Sicherheitskräfte zu umgehen, nämlich kein anderer als Miguel, Ronaldos nächster Verwandter.
Schnell entkleidete er sich bis auf die Unterhose und zog sich einen Bademantel über. Dann zerzauste er sich die Haare und schlug auf den Alarmknopf, bevor er brüllend in den Flur rannte. «Das Gelände absperren! Hier ist irgendwo ein Attentäter!
Jemand hat meinen Bruder erschossen! Holt den Arzt!»
Das blanke Chaos brach aus. Innerhalb von Sekunden erschienen zwanzig Sicherheitskräfte, alle mit gezogenen durchgeladenen und entsicherten Waffen. Sie fahndeten nach dem Killer, während Miguel an Ronaldos Seite blieb und den Trauernden spielte.
Draußen bellten die Hunde in Menschenjagdfieber. Gelegentlich wurden Schüsse in die dunkle bolivianische Nacht abgefeuert.
Mehrere Soldaten stocherten in Schränken und hinter Möbeln herum, während Miguel den Gram ziemlich dick auftrug. Plötzlich, und sehr zu Miguels Überraschung, bäumte sich Ronaldo auf.
War das ein Ringen nach Atem?! Hat es irgendjemand gesehen? fragte sich Miguel.
In einer übertriebenen Zurschaustellung von brüderlichem Kummer begann Miguel zu jammern, umarmte Ronaldos Kopf und drückte ihm dabei Nase und Mund zu, um das bißchen Leben, das vielleicht noch in ihm steckte, auszulöschen. Die gedämpften Gurgelgeräusche verloren sich in Miguels säuerlicher Achselhöhle, und endlich biß Ronaldo ins Gras oder - wie Ronaldos Onkel aus Nicaragua gesagt haben könnte - schälte den Knoblauch. Andererseits, hätte Ronaldo selbst die Wahl der Redewendung für diese Gelegenheit gehabt, hätte er vielleicht das bevorzugt, was man in EI Salvador sagt ... schnürte er sein Bündel.
Die Redewendungen von Mittel- und Südamerika hatte Ronaldo immer geliebt. Er fand sie farbiger als ihre englischen Entsprechungen. Zum Beispiel, während sich ein Bolivianer in New York wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlen würde, wäre ein New Yorker in Bolivien ein Kakerlak beim Hühnertanz. Aber all das spielte natürlich keine Rolle mehr, weil Ronaldo mausetot war.
Ein Soldat überprüfte die verschlossenen Balkontüren, ein anderer sah in der Toilette nach. «Er ist durchs Badezimmerfenster gekommen!» schrie der eine.
«Und worauf wartet ihr noch?!» bellte Miguel. «Findet ihn!
Tötet ihn! Nein, bringt ihn zu mir! Ich werde ihn mit bloßen Händen erdrosselnl»
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