Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Lage auszukundschaften und zu bewerten, ist unsere Aufgabe, die letztendlich auch Eure Bewährungsprobe darstellt.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, entgegnete Alvendorah, hob den Kopf und reckte trotzig das Kinn vor, »und wie die anderen aus dem Hause Enduriel vor mir werde auch ich sie meistern.«
»Dann kehrt mit mir zurück und handelt zum Wohle der Nordelfen! Die Feinde werden bald bei uns einfallen, uns läuft die Zeit davon!«
Alvendorah schüttelte den Kopf. »Sie ist bereits abgelaufen. Wir werden es niemals rechtzeitig schaffen, mit unserem Heer über die Enge von Dovan zu setzen, um den Halblingen zu helfen.«
»Nein, ganz sicher nicht«, pflichtete Gwendalon ihr bei, und erneut verhärteten sich seine Züge. »Das Südland ist längst verloren. Hier gibt es nichts mehr zu retten.«
»Nichts? Außer einem kleinen, liebenswerten Volk, das sich gegen zwei ihm weit überlegene Rassen stellt! Ist das wirklich nichts?« Jetzt legte auch Alvendorah eine gewisse Schärfe in ihre Worte. »Vielleicht muss ich das tun, was das Halblingsmädchen tat, nämlich mich von denen abwenden, die zweifeln.« Rasch ergriff sie ihren Bogen, huschte mit wenigen Schritten über die Lichtung und rannte den Abhang hinab, wo eine breite Schleifspur Ennas Fluchtweg markierte.
Gefährlich nahe schoss Enna auf dem Stück Borke an dem Brombeerstrauch und schließlich an einem Baumstamm vorbei und in den Wald hinein. Dann riss sie die Augen auf, denn nun raste sie auf einen tief hängenden Ast zu. Im letzten Moment duckte sie sich, und das Geäst peitschte über ihren Kopf hinweg. Entsetzt stellte sie fest, dass der Abhang länger und steiler war, als angenommen. So ging die wilde Fahrt weiter – direkt auf eine Felsformation zu. Enna drückte den rechten Fuß in die Erde und wollte nach rechts lenken, dorthin, wo sich ein rettender Spalt in dem grauen Felsen auftat. Kleine Zweige, Laub und Steinchen verfingen sich schmerzhaft in ihrem Fußpelz. Sie ignorierte es, denn jeden Moment würde sie gegen den Stein prallen. Also rammte sie ihren Fuß fester in den Waldboden – und tatsächlich: Sie rauschte samt Rinde mitten in die Öffnung hinein.
Doch die Erleichterung währte nur kurz. Zwar kam Enna am anderen Ende wieder heraus, doch plötzlich war der Boden unter ihr verschwunden, und sie flog durch die Luft. Sie wollte schreien, konnte aber nicht. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihre Eingeweide rebellierten. Schon stürzte sie nach unten, der Hang kam näher. Enna schloss die Augen und prallte auf den Boden. Doch zum Glück war die Erde hier weich und mit altem Laub übersät. Enna überschlug sich noch einige Male, die Bäume schienen plötzlich oben und unten gleichzeitig zu sein – und endlich kam sie zum Stillstand. Sie keuchte heftig, blieb aber liegen, bis sich ihr Atem ein wenig beruhigt hatte. Langsam hob sie den Kopf, blinzelte und fühlte, ob ihre Knochen noch heil waren. Nichts schien gebrochen zu sein, auch wenn zwei ihrer Rippen beim Atmen schmerzten und sie eine Schürfwunde am rechten Fuß hatte. Vorsichtig richtete sie sich auf, blieb jedoch vorerst in der Hocke und prüfte, ob am Abhang jemand zu sehen war. Doch Enna konnte niemanden ausmachen. Nur ihre eigene Spur im Waldboden war deutlich sichtbar, ein Wegweiser für etwaige Verfolger.
Sie schalt sich eine Närrin, denn vielleicht war sie viel zu überhastet aufgebrochen und vor ihrem eigenen Schatten geflohen.
Daher erhob sie sich nun vollends, klopfte sich Erde, Laub und ein paar Käfer von ihrer Kleidung und wanderte schließlich weiter, immer darauf bedacht, möglichst nicht noch mehr Spuren zu hinterlassen. Einige Male noch wandte sie sich um und beobachtete die Umgebung, doch außer einer Hirschkuh, die in einem Dickicht stand und zu deren Füßen ein Rehkitz kauerte, sah sie nichts. Es dauerte nicht lange, und die Bäume lichteten sich ein wenig, außerdem stieg das Land allmählich an. Zwischen den Baumkronen konnte Enna im Süden den Aratol hervorlugen sehen, und der mächtige Gipfel erinnerte sie an einen Finger, der sie zur Umkehr mahnte. Doch Enna biss trotzig die Zähne zusammen, richtete ihren blonden Zopf und stapfte weiter. Bald schon erreichte sie den Waldrand, wo sie sich zu einer kurzen Rast entschloss und ihren Blick über das Land schweifen ließ. Grasland erstreckte sich nach Südosten hin bis zu den Ausläufern der Suravan-Berge. Diese zeichneten sich dunkel am fast wolkenlosen Himmel ab, wirkten wie eine undurchdringliche Mauer. So
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