Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
wie es aussah, würden nur einige Senken und Büsche Enna auf ihrem Weg zu den Bergen Deckung bieten.
Eilig aß sie das bisschen Fisch, das sie am Vorabend heimlich in ihren Umhang gesteckt hatte, verzehrte noch ein paar Beeren und marschierte weiter. Hin und wieder musste sie Deckung suchen, da sie in einiger Entfernung andere Reisende sah. Zum Glück erkannte sie diese schon von Weitem und konnte in den Schutz des hohen Grases flüchten. Meist handelte es sich um Erinyen, die – wie Enna annahm – von der Hohen Wand von Myrador in Richtung Arboron unterwegs waren. Enna gelang es jedoch, unbemerkt zu bleiben, und je näher sie den Suravan-Bergen kam, desto seltener wurden diese Begegnungen.
Die Sonne war bereits hinter den Horizont gesunken, und nur ein rotes Leuchten überzog den Himmel im Westen, als sie schließlich anhielt und sich im Schutz einiger Birken niederließ. Lange Zeit beobachtete sie die Sterne, die zwischen den leise im Wind raschelnden Blättern am Nachthimmel funkelten, und es musste wohl schon Mitternacht sein, als sie endlich einschlief.
20. IM SCHATTEN DES ARATOL
»Als ob sich die Dunkelheit bewegen würde.« Moydana nahm ihre Hand von Zervanas Schulter und trat nach vorne an die Mauerbrüstung des Palastturmes. »Wenn nur nicht der Gestank von totem Fleisch die Luft verpesten würde.«
Die Usurpatorin ließ den Blick über das Heer der Ghule schweifen, das sich vor den Toren Zervanadors versammelt hatte. »Also ist er gekommen. In der Nacht des achten Tages«, flüsterte sie.
Moydana wandte sich zu ihr um, eine ihrer fein geschwungenen Augenbrauen hob sich fragend, und ihre glimmende Fackel spiegelte sich in ihren dunklen Augen.
»Hanafehl«, erklärte Zervana. »Er ist weitaus klüger als die meisten Ghule. Mehrfach schon hat er mich provoziert, hat nicht die unterwürfige Art an den Tag gelegt, die sonst für seine Art bezeichnend ist. Aber heute hat er genau das getan, was ich von ihm verlangt habe«, sie schüttelte leicht den Kopf, »und das, obwohl ich einen seiner Boten töten und dem anderen die Hand abhacken ließ.«
Moydana trat näher an sie heran. Ihr zerschlissener Umhang schleifte über den Boden. »Ihr wisst, Usurpatorin, ich würde Hanafehl für Euch töten, könnte ich diesen Wunsch in Euren Augen ablesen.« Moydana brachte ihr Gesicht dicht an Zervanas und musterte sie. »Doch ich kann diesen Wunsch in Euch nicht sehen.«
»Hanafehl ist ein geschickter Gegenspieler«, erwiderte Zervana. »Er amüsiert mich, und noch brauchen wir ihn. Wenn seine Zeit gekommen ist, wird es Yorak sein, der seinem Leben ein Ende bereitet.«
Kurz blitzte Enttäuschung in Moydanas Augen auf, dann jedoch verneigte sie sich. »Dann soll es so geschehen.«
Zervana hörte Schritte hinter sich. Yoraks Stiefel klackten auf dem harten Boden, doch deutlicher noch vernahm sie das Geräusch bloßer Füße, deren Klauen über den Stein schabten. Zervana wandte sich um. Wie ein aus dunklem Holz gehauener Klotz stand der Herr der Ghule vor ihr, und sein Anblick erinnerte sie an den Aratol, dem die Mondsichel in dieser Nacht sehr nahe stand und den Gipfel des Berges in fahles Weiß tauchte. Zervana konnte frisches Blut riechen, das offenbar noch unter seinen Fingernägeln klebte. Sie fragte sich, wer diesen gewaltigen Armen zum Opfer gefallen war.
Direkt neben Hanafehl ragte Yorak auf. Die Verachtung, die er Hanafehl entgegenbrachte, schwelte unverkennbar in seinen Augen.
»Der Fürst der Ghule!«, rief Zervana. »Es ehrt mich, dass Ihr gekommen seid.«
Hanafehl deutete eine Verbeugung an. Schon viele hatten sterben müssen, obwohl sie sich weitaus tiefer verneigt hatten. Zervana ignorierte es.
»Zehntausend Ghule warten auf mein Zeichen zum Aufbruch«, krächzte er.
»Auf Euer Zeichen?«, fragte Moydana und machte einen Schritt auf Hanafehl zu. Zervana jedoch hob die Hand.
»Mein Zeichen, das nur dem Euren folgt, Usurpatorin«, verbesserte er sich an Zervana gewandt. Moydana beachtete er nicht. Doch wieder lag Spott in der Stimme des Ghuls, und als Hanafehl seinen Mund zu einem Grinsen öffnete, zog sich ein Speichelfaden von einem Reißzahn zur Unterlippe.
»Wir brechen morgen auf«, entgegnete Zervana, äußerlich vollkommen ungerührt. Vor ihrem geistigen Auge jedoch blitzten Bilder auf: Sie sah Yorak, dessen Geißel sich um den Hals des Ghuls legte und seinen Kopf mit einem Ruck vom Körper riss. Eines Tages, eines blutigen Tages, dachte sie. »Seid bereit, wenn die Sonne ihren ersten
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