Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
den Augen, junger Borkenfeuer, doch mit dem Herzen schon.« Vern wurde wieder ernst, klang fast schon geheimnisvoll, als er weitersprach. »Ich kann sogar das Schlagen der Flügel des Gefildenvogels hören. Dann denke ich jedes Mal, er kommt meinetwegen.«
»Verrückter Greis«, sagte Enna, strich Vern dabei aber liebevoll über den Kopf. »Wahrscheinlich hat der Vogel dich nur vergessen oder fürchtet, du könntest die Grünen Gefilde leer essen.«
Vern hob einen Finger und fuchtelte damit vor Ennas Nase herum. »Die Gefahr bestünde tatsächlich, ja, ja.«
»Wie auch immer, Vern«, warf Jorim ein, »wir müssen jetzt weiter. Du weißt, wir brechen heute auf.«
»Zu den Suravan-Bergen. Das ist meinem getrübten Geist nicht entgangen. Dort leben die Drachen, hütet euch vor ihnen.«
»Wir wollen ja gar nichts von den Drachen«, erklärte Jorim. »Es ist Bronn, den wir suchen.«
»Der alte Bronn, sein Hut durch den Sturmeswind er saust.«
»Sein Name im Sturmeswind er braust«, korrigierte Enna.
»Ja, ja, ich weiß, ich weiß. Mir gefällt die Vorstellung mit dem Hut besser. Wollt ihr mal meine Fassung von Bronns Heldenlied hören? Die geht so: Bronn Sternenfaust und seine Zecken, auch nicht der Zangen Kneifer kann sie schrecken, und sind es auch …«
»Schon gut, Vern, schon gut!«, Enna hob abwehrend die Hände, während Jorim sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Verschone uns mit deiner Dichtkunst.«
»Nehmt euch vor dem Feuer der Drachen in Acht«, warnte Vern plötzlich, seine Stimme war zu einem heiseren Flüstern geworden. »Es kann nämlich blind machen.« Er deutete auf seine Augen.
Jorim blickte Enna fragend an, doch auch sie wusste darauf nichts zu erwidern.
»Ja, wundert euch nur«, fuhr Vern fort. »Ich habe sie aus der Nähe erblickt, die gleißenden Flammen aus dem Schlund der roten Bestie. Einmal habe ich sie erblickt, dann nimmer mehr.«
Damit wandte er sich ab und schlurfte mit gesenktem Kopf davon. »Einmal nur, dann nimmer mehr«, hörte Jorim ihn noch vor sich hin murmeln.
»Glaubst du wirklich, er war dort?«
Enna zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Der alte Flusstaucher ist so sonderbar, da würde es mich nicht wundern.«
»Wie auch immer. Wir sollten jetzt unsere restlichen Sachen packen. Das Abenteuer beginnt bald!«
Enna nickte nur nachdenklich, dann machten sie sich auf, um ihre Habseligkeiten zu holen. Doch die Worte von Vern gingen ihr noch lange durch den Kopf.
In Flusstal, am Ufer des Erenin, trafen sich schließlich die fünf Freiwilligen, so wie sie es am Vortag vereinbart hatten. Zur Überraschung der anderen folgten Nespur noch zwei weitere Halblinge: Toram Otterschreck, jener Halbling, der zusammen mit ihm die Erinyen gesehen hatte; und dann war da noch Tipplin Zündfuß, der – wie Jorim wusste – ein findiger Tüftler war. Immerhin war er Jorim beim Errichten seines Baumhauses eine große Hilfe gewesen. Dass Tipplin hier und da mit seinen Konstruktionen und teilweise wahnwitzigen Erfindungen ein wenig übertrieb, hatte er im letzten Sommer bewiesen, als er sich bei einem Experiment die Füße in Brand gesetzt hatte. Seither waren seine Füße recht vernarbt und verschrumpelt, weshalb der Rat ihm prompt den Namen Zündfuß verpasst hatte. Was genau zu dieser Katastrophe geführt hatte, wollte Tipplin niemandem verraten. Hätte er nicht erst knapp fünfzig Sommer gesehen, so hätte es Jorim nicht verwundert, wenn Tipplin Urgroßvater Jadokins Rauchkästchen erfunden hätte. Als Jorim ihm auf die Füße schaute, strich sich Tipplin verlegen durch sein dichtes braunes Haar.
Nespur ergriff nun das Wort, als er vor ihnen stand: »Diese beiden werden uns ein Stück begleiten. Ich möchte mit ihnen einige Verteidigungsmöglichkeiten von Westendtal erörtern, damit schon ein paar Vorbereitungen getroffen werden können. Immerhin gehen wir durch die Vergessenen Täler, und jede Armee, die in Westendtal einfallen will, muss diese schluchtenreiche Gegend durchqueren. Ich werde Toram und Tipplin Stellen zeigen, wo sie beispielsweise Barrikaden errichten oder auch Gerölllawinen vorbereiten können. Der Rat hat meinem Plan bereits zugestimmt.«
Jorim war beeindruckt von Nespurs Weitsicht. Auf jeden Fall sollten sich die Halblinge auf das Schlimmste vorbereiten und auf den Einmarsch der Erinyen gefasst sein – für den Fall, dass sie Bronn nicht rechtzeitig fänden.
Doch nun galt es Abschied zu nehmen. Zu ihrer Überraschung waren viele Halblinge
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