Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
ein weiches, silbriges Licht.
Jorim ließ sich zurücksinken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte noch einmal an den Vogel. Insgeheim hoffte er, dass Elvor mit seiner anmaßenden Einschätzung richtig liegen würde und sie die Erinyen und Ghule aufhalten könnten – doch wie er befürchtete, war seine Vorstellung der Wahrheit wesentlich näher.
7. ZERVANADOR
Erhobenen Hauptes schritt Zervana, neue Herrscherin der Erinyen, durch die Straßen der Hauptstadt von Arbor – die nun ihre eigene war. Die größte Stadt der Menschen war unter dem Namen Arboron bekannt, doch Zervana hatte ihr den Namen Zervanador gegeben: ein Denkmal des Sieges der Erinyen über das Volk der Menschen.
Hochgewachsene Gestalten in langen Umhängen, bewaffnet mit Peitschen oder Fackeln – weibliche Erinyen trugen beides –, machten ihr respektvoll Platz, zischten hier und da ein »Ehre der Usurpatorin« oder verneigten sich vor ihr.
Vor allem die männlichen Erinyen beugten ihr Haupt tief nach unten, denn – den Frauen unterstellt – dienten Erinyen-Männer lediglich der Fortpflanzung. Bei Bedarf wurden sie auch in der Armee eingesetzt, obwohl das nur selten geschah, da die Frauen den Kampf als große Ehre betrachteten und selbst danach strebten, sich in der Schlacht Respekt zu verschaffen – oder darin zu sterben. Deshalb war auch ihre tödlichste Waffe, die Fackel, nur ihnen vorbehalten, und sie mussten sie sich in jungen Jahren im Laufe harter Prüfungen erst verdienen.
Selbstverständlich ließ sich Zervana nicht zu einem Gruß herab, das hätte jede Erinya als Zeichen von Schwäche angesehen, sondern stolzierte zielstrebig auf den steinernen Palast zu. Die von hohen Bäumen gesäumte Allee führte zu einer Steintreppe, auf der dreißig Erinyen nebeneinander Platz gefunden hätten. Auch wenn Zervana die besiegten Menschen verachtete und sie für Schwächlinge hielt, so wusste sie doch deren Baukunst zu schätzen. Ihr eigenes Volk hatte seit dem Anbeginn der Zeit in den kargen Tälern von Myrador gelebt, in Höhlen, Schluchten oder unter Felsüberhängen gehaust und sich von Wild und manchmal auch Schlangen oder anderen Reptilien ernährt. Im Vergleich zu den vom Überfluss verwöhnten Menschen hatte Zervanas Volk fast schon ein erbärmliches Dasein gefristet. Obendrein waren während der vergangenen Dekaden immer weniger männliche Erinyen geboren worden, und ihr Volk wäre beinahe ausgestorben. Doch nachdem Zervana über Levtha, die frühere Herrscherin der Erinyen, gesiegt hatte, waren andere Zeiten angebrochen. Zervana hatte ihren schon lange gehegten Plan durchgesetzt, sich vorübergehend mit menschlichen Männern zu paaren, um neue Erinyen zu zeugen. Immer wieder hatten ihre Erinyen Männer aus Arbor geraubt, hatten Dörfer überfallen sowie fahrende Händler oder Reisende.
Innerhalb der zwanzig Sommer ihrer Herrschaft war ihr Volk wieder erstarkt, da Erinyen innerhalb von sechs Mondzyklen heranreiften und bereits nach zehn Sommern kampffähig waren. In einem ebenso raschen wie gewaltigen Kriegszug hatten sie sowohl die Menschen aus Arbor als auch die Elfen aus Eren-Danan besiegt und ihre Länder eingenommen. In Arboron hatten sie schließlich freie Auswahl. Hier gab es viele weitere Männer, die ihrer Sache durchaus dienlich waren – wenn sie es auch nicht freiwillig taten. Zervana musste schmunzeln, als sie an das Entsetzen in den Gesichtern der Sklaven dachte, sobald ihnen bewusst wurde, wozu sie auserkoren waren.
Voller Missbilligung fiel schließlich ihr Blick auf die Reste eines menschlichen Kadavers, der auf dem Rasen vor dem Palast lag. Lediglich der Unterkörper war noch erhalten und faulte in der gleißenden Sonne. Zervana winkte mit ihrer bleichen, knochigen Hand einer der Wachen zu, die bewegungslos vor der Treppe standen.
Sofort glitt die finstere, schlanke Gestalt zu ihr und neigte ehrerbietig den Kopf. »Usurpatorin!«
»Sag diesen nutzlosen, widerwärtigen Ghulen, sie sollen ihr Mahl beenden oder zumindest die Reste mit in die Kanäle nehmen oder wo auch immer sie hausen. Anderenfalls werde ich meine Entscheidung noch mal überdenken und sie zurück in ihre verdammten Berge schicken.«
»Sehr wohl, Usurpatorin.« Die Erinyen-Wache eilte mit langen Schritten davon, wobei der löchrige Umhang hinter ihr herwehte.
Zufrieden beobachtete Zervana, wie die Erinya den Kadaver ergriff und hinter sich herschleifte, dann begab sie selbst sich ins Innere des Palastes. Obwohl schon sechs Mondzyklen
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