Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Erinyen zwanzigtausend zählte, so hätten sie das Reich der Menschen und Elfen auf Dauer nicht allein mit ihren Kriegern besetzen können. Die Ghule, so einfältig und widerwärtig sie auch waren, taugten hervorragend dazu, Angst und Schrecken zu verbreiten. Außerdem, dachte sich Zervana, würden sie ihr Volk davor bewahren, bei einer Schlacht in den Nordlanden aufgerieben zu werden.
Zervana legte einen ihrer langen, mit spitzen Fingernägeln versehenen Finger an die Lippen und kniff die Augen zusammen. »Nun gut. Warten wir noch etwas.«
Yorak neigte den Kopf, und Zervana unterdrückte den Wunsch, ihn an sich zu ziehen und ihrer abermals aufflammenden Leidenschaft freien Lauf zu lassen.
Als die Sonne am folgenden Tag den Zenit erreichte, war Hanafehl, der Herrscher der Ghule, noch immer nicht erschienen. Zervanas Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie vor dem steinernen Thron auf und ab, ihre Schritte hallten laut durch den Saal. Ihre düsteren Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Tür aufgestoßen wurde und der Schatten von Yoraks Gestalt in den Thronsaal fiel. Langsam schritt er herein, gefolgt von zwei Erinyen, deren zerschlissene Umhänge um ihre schlanken Beine wallten.
Zervana hielt inne und stellte sich mit verschränkten Armen vor den steinernen Thron.
»Zwei Eurer Streiterinnen sind aus dem Norden zurückgekehrt, Usurpatorin.« Yorak deutete eine leichte Verbeugung an, dann trat er zur Seite.
»Esradal!« Zervana ging zu den Neuankömmlingen, hob die Hand und ließ ihre Finger über Esradals Wange gleiten.
»Moydana, wie schön!« Auch Moydanas Wange berührte sie, bevor sie die Erinya mit den nachtschwarzen Haaren umrundete und ihre Hand über deren Rücken und – wie beiläufig – über das Gesäß wandern ließ.
»Ich hoffe, ihr bringt frohe Kunde.«
Moydana und Esradal verneigten sich, tiefer als Yorak es zu tun pflegte. Ein Umstand, den Zervana noch ändern würde.
»Über Eren-Danan sind wir bis zu den Himmelsklippen gezogen«, begann Esradal. »Die Klippen bereiten ihrem Namen alle Ehre und sind für ein Heer unüberwindbar. Von dort aus können wir nicht nach Norden übersetzen.«
Zervanas Gesicht verzog sich, als sie Wut in sich aufsteigen fühlte.
»Aus diesem Grund sind wir nach Westen weitergewandert, Usurpatorin«, ergriff Moydana das Wort, und Zervana gefiel der flüchtige Blick, den die Erinya über ihren Körper gleiten ließ. »Dort sind wir fündig geworden. Ein unbedeutendes Halblingsvolk lebt an einem Ort, den sie Westendtal nennen, wo eine mit Gras bewachsene Landzunge weit in die Meeresenge von Dovan hineinreicht. Eine hervorragende Stelle, um eine riesige Armee zu stationieren.« Moydana senkte den Kopf ein wenig, und ein Schmunzeln zierte ihr in Zervanas Augen so beneidenswert schönes Gesicht. »Es gibt Wälder in Westendtal, viele Wälder«, fuhr sie fort. »Genug Holz, um Schiffe zu bauen.«
»Das ist es, was ich hören will«, säuselte Zervana, und ihre Finger strichen über Moydanas Kinn. »Ist es nicht so, Esradal?« Blitzschnell fuhr Zervana zu Moydanas Begleiterin herum, wobei ihr schwarzes Haar durch die Luft peitschte. Esradal wich zurück und verneigte sich rasch. »Natürlich, Usurpatorin, natürlich.«
»Dann wähle deine Worte beim nächsten Mal mit mehr Bedacht!«
»Gewiss.« Esradal hielt den Kopf gesenkt.
»Gut, und nun geh!«
Esradal machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit raschen Schritten den einstigen Thronsaal der Menschen.
»Yorak!«, rief Zervana. »Ich warte noch immer auf Hanafehl.«
»Der Herrscher der bleichen Wesen ist unterwegs, Usurpatorin. Wie es aussieht, wird er bald hier eintreffen.«
Zervana nickte. »Unterrichte mich, wenn es soweit ist.«
»Das werde ich«, versicherte Yorak, und seine schwarzen Augen betrachteten sie ohne jegliches Anzeichen von Angst. Ein weiterer Umstand, den Zervana zu ändern gedachte – wenngleich sie seine furchtlose Art insgeheim reizte und anzog.
»Geh jetzt!« Mit einem Wink schickte sie Yorak fort. Sie bedauerte es ein wenig, doch Moydana würde für genug Kurzweil sorgen.
»Du begleitest mich in meine neuen Gemächer«, flüsterte sie der Erinya zu.
»Wenn ich Euch damit ein Vergnügen bereiten kann«, erwiderte Moydana, und kurz glaubte Zervana so etwas wie Vorfreude in ihren Augen aufblitzen zu sehen.
»Ganz bestimmt kannst du das, meine Schöne.«
Es war bereits kurz vor Mitternacht. Ekstatisch bäumte sich Zervana abermals auf,
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