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Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)

Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)

Titel: Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.S. West
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nicht!«
    »Du musst aber!«
    »Elvor«, ertönte Nespurs Stimme. »Du musst es tun. Du hast nur einen Sprung, und der wird dein Leben retten.«
    »Spring, Elvor Sternenfaust!«, versuchte auch Enna ihn zu ermuntern.
    Vielleicht war es der Name Sternenfaust, der Elvor zur Räson brachte, vielleicht waren es Ennas grüne Augen, in die er gerade schaute. Jedenfalls holte Elvor tief Luft, beugte die Knie und hüpfte dann mit aller Kraft in die Höhe.
    Ein Ruck ging durch Jorim, er und Enna wurden vorwärts gezogen, als Elvor Juls Arme zu fassen bekam. Rasch sprang Nespur herbei, um die Geschwister festzuhalten, und schließlich gelang es ihnen gemeinsam, Elvor auf den rettenden Grat zu zerren. Der Fels, auf dem er eben noch gestanden hatte, wankte noch etwas. Dann knirschte es verdächtig, und der Gesteinsbrocken sauste unaufhaltsam in die Tiefe. Einige hektische Atemzüge später gab es einen gewaltigen Knall, als der Stein unten am fernen Talgrund zerschellte.
    Vorsichtig rappelten sie sich auf und legten den Rest des Weges auf dem Grat zurück, bevor sie sich auf sicherem Grund eine kurze Verschnaufpause gönnten. Elvor ließ sich auf den Hosenboden plumpsen und vergrub das Gesicht in den zitternden Händen. Nicht nur Jorim, sondern auch die anderen musterten ihn kritisch und abwartend.
    »Was hab ich nur getan?«, brach Jul das Schweigen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich muss verrückt gewesen sein, so zur Kante zu hechten. Der Fels hätte nachgeben und wir alle abstürzen können!«
    »Du hast Elvor das Leben gerettet«, entgegnete Enna bestimmt und warf Jul einen anerkennenden Blick zu.
    »Sie hat recht, Jul«, pflichtete Jorim ihr bei. »Du hast richtig reagiert. Und es waren allein deine Hände, die Elvor ergriffen haben.«
    Jul betrachtete seine Hände, dann hob er den Kopf und ein Lächeln überzog sein Gesicht. Er wurde aber wieder ernst, als er Elvor erblickte. Dieser saß da wie ein Häufchen Elend. Das Gesicht verschwitzt und starr, musterte er seine Füße.
    »Los jetzt, junger Sternenfaust.« Nespur klopfte Elvor aufmunternd auf die Schulter. »Wir haben es überstanden, und es ist Zeit aufzubrechen!«
    Elvor erhob sich nur zögerlich und sprach kein Wort. Als sie weiterwanderten, wirkte er abwesend und vermied es ganz offenbar, den anderen in die Augen zu blicken.
    Kurz nachdem die Sonne den Zenit überquert hatte, erreichten sie den Grenzsee, der sich ruhig und still vor ihnen ausbreitete. Hohes Schilf und unzählige Weidenbäume säumten das Ufer. Einige Wolken spiegelten sich im klaren Wasser und zogen gemächlich dahin, sodass es aussah, als würden fremdartige Schatten durch das Wasser gleiten.
    Die Halblinge gingen noch ein ganzes Stück am See entlang, und es waren bald weniger Müdigkeit und Erschöpfung, die sie plagten, als viel mehr der Hunger. So rasteten sie und füllten ihre rumorenden Mägen mit Beeren, die Jul unterwegs gesammelt hatte, aßen den restlichen Käse und ein paar Scheiben Brot. Enna half Jul beim Fischen, und tatsächlich wurde ihr Bemühen um ein späteres Abendessen belohnt. Zwar biss sich nur ein einziger Fisch an Juls Haken fest, doch dieses Exemplar war groß genug, damit alle etwas abbekämen. Irgendwie gelang es Jul sogar, den dicken Fisch unter seinem Mantel verschwinden zu lassen.
    »Elvor hat seit dem Vorfall kein Wort gesprochen«, flüsterte Enna Jorim zu, als sie sich neben ihn setzte. »Ich hätte nicht gedacht, ihn jemals so sprachlos zu erleben. Er hat doch sonst immer einen lästerlichen Kommentar auf den Lippen.«
    »Und lenkt damit vielleicht von seinen wahren Gefühlen ab.« Jorim sah zu Elvor hinüber, der abwesend auf einem Stück Brot kaute. »Oder er hat sich nur den Kopf gestoßen«, fügte er hinzu.
    »Glaube ich nicht«, entgegnete Enna, ohne Elvor aus den Augen zu lassen. »Ich spreche mit ihm.«
    »Lass ihn, Enna, es ist …«
    Doch seine Schwester hatte sich bereits erhoben und ging zu Elvor hinüber, um sich neben ihm auf einem heruntergebrochenen Weidenast niederzulassen.
    »Was willst du von mir?«, fragte Elvor, ohne aufzusehen.
    »Mit dir reden.«
    »Wohl eher, dich über mein erbärmliches Verhalten lustig machen.«
    Enna zuckte mit den Schultern. »Du hast dich nicht erbärmlich verhalten, du hattest einfach Angst.«
    »Als ob das einen Unterschied machen würde«, gab Elvor grimmig zurück und stocherte mit der großen Zehe im Gras herum.
    »Es ist keine Schande, Angst zu haben.«
    »Das sehe ich anders.«
    »Weswegen?«

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