Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Flüstern.
»Es klingt wie leises Klagen, findest du nicht?« Enna ließ sich neben Jorim nieder, zog die Beine an den Körper und legte ihren Kopf darauf. »Und es macht mich traurig.«
Jorim seufzte, die Luft war schwer vom Duft der Blüten und dem Harz der Bäume. »Ja, mich auch. Fast könnte man ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn man an all die Toten und die schrecklichen Kriege denkt, die es gab, ohne dass wir es bemerkt haben.«
»Das ist nicht ganz richtig, Jorim, das weißt du.« Enna schüttelte den Kopf. »Es gab Gerüchte von den Geschehnissen. Hätten wir uns nur etwas mehr für die Welt außerhalb von Westendtal interessiert, so hätten wir erfahren, was dort vor sich geht. Stattdessen saßen wir in unseren Tavernen, wanderten durch unsere Auen und Wälder und gaben uns einer trügerischen Idylle hin.«
»Du hast recht, Enna.« Jorim lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. »Aber was hätten wir tun können? Wir zählen gerade mal fünftausend Halblinge, die meisten davon sind Frauen und Kinder oder tragen bereits die Last des Alters mit sich wie Vern. Hätte da unser Eingreifen einen Unterschied gemacht?«
Enna hob einen Ast auf und beäugte ihn. »Angenommen, Jul hätte ein Feuer entzünden wollen, um den Fisch zu braten. Wir hätten all das Holz hier zusammengetragen, um es zu verbrennen. Nun stell dir vor, ich nehme diesen Ast und schleudere ihn aus dem Wäldchen heraus«, Enna warf den Ast weit von sich, wobei dieser gefährlich nahe an Nespurs Kopf vorbeisurrte, »für diesen Ast würde es einen Unterschied machen – und er hätte auch ein einzelnes Kind sein können, das wir vor den Fackeln der Erinyen bewahrt hätten.«
Jorim nickte langsam und betroffen. Ein Gefühl von Trauer und Schuld breitete sich in ihm aus.
»Ein weiser Vergleich«, sagte Elvor plötzlich, der unweit der beiden saß und offenbar ihrer Unterhaltung gelauscht hatte. Überraschenderweise lag keinerlei Spott in seiner Stimme.
»Ach was.« Enna winkte ab und blickte etwas verlegen zu Boden. »Nur Alte sind weise, ich bestimmt nicht.«
Elvor betrachtete Enna weiterhin und wirkte dabei sehr nachdenklich. Jorim zog verwundert eine Augenbraue in die Höhe, besonders als er sah, dass seine Schwester den Blickkontakt mied. Stattdessen warf sie ihre Haare in den Nacken und begann dann, kleine Ästchen aus ihrem Fußpelz herauszuzupfen.
»Hast dir wohl bei deinem Sturz heute doch den Kopf gestoßen«, rief Jorim Elvor zu und erntete dafür prompt einen Ellbogenstoß von seiner Schwester.
»Autsch, bist du …«
»Lass es einfach«, zischte Enna.
»Aber …«
»Der Fisch ist fertig«, unterbrach Jul sie. Jorim fragte sich, wessen Verhalten sonderbarer war: das seiner Schwester oder Elvors. Schließlich zuckte er mit den Schultern und beobachtete Jul, wie er das Abendessen auf den Tellern verteilte, die er – wie Jorim wusste – heute Morgen einer wenig appetitanregenden Reinigung unterzogen hatte. Auch Nespurs Auge wanderte nervös zwischen den Tellern und Jul hin und her. Er rümpfte derart die Nase, dass Jorim glaubte, sie würde gleich abfallen.
Am Ende reichte Jul den anderen das Abendessen, das aus Fisch und etwas Brot bestand. Nachdem sie das Essen zunächst misstrauisch beäugt und berochen hatten, langten sie kräftig zu und schmatzten zufrieden.
»Also, dein Fisch, Jul«, begann Elvor und räusperte sich, »der ist irgendwie …«
»Was?« Jul richtete sich gespannt auf.
»Na ja.« Elvor schien nach Worten zu suchen und fuhr sich durch seine schwarzen Locken.
»Nun sag schon«, forderte Jorim ihn auf.
»Gaumengefällig«, beendete Elvor schließlich seinen Satz.
»Gaumengefällig?« Jorim schluckte gerade den letzten Bissen hinunter. »Seltsames Wort.«
»Aber es stimmt«, warf Enna ein. »Der Fisch war hervorragend!«
»Hervorragend war er, genau!«, rief Nespur laut und klopfte Jul derart kräftig auf die Schulter, dass der schmächtige Halbling mit dem kugeligen Bauch beinahe vornüberkippte. »Aber dieses Mal leckst du die Teller nicht mit der Zunge ab.«
Juls Gesicht hatte eine dunklere Farbe angenommen, und er rutschte verlegen auf seinem Hosenboden hin und her. »Hauptsache, es hat euch geschmeckt«, murmelte er schließlich und räumte die Kochutensilien samt den Kräuterbeutelchen weg. »Oder war eben gaumengefällig«, fügte er mit einem Blick in Elvors Richtung hinzu.
»Ja, war es«, bestätigte dieser. »… und … also, was ich noch sagen wollte«, fuhr er
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