Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Enna sah ihn fragend an.
»Angst ist ein Zeichen von Schwäche.«
»Wer sagt denn so was?«
Elvor hob die Schultern.
»Deine Schultern etwa?« Enna musste schmunzeln, und kurz zuckten auch Elvors Mundwinkel, dann wurde er wieder ernst.
»Ich bin ein Sternenfaust«, sagte er, als ob dies alles erklären würde.
»Und ich eine Borkenfeuer«, erwiderte Enna trocken, und endlich blickte Elvor sie an.
»Du verstehst es nicht, oder?«, fragte er und schnaubte abfällig. »Bronn Sternenfaust war ein Held, besungen in zahlreichen Liedern!«
»Und?« Enna strich sich trotzig einige Locken hinters Ohr, neigte den Kopf ein wenig und musterte Elvor. Sie ahnte schon, was nun kommen würde.
»Und was bin ich?«, fuhr er fort. »Welche Heldentaten habe ich vollbracht? Ich stürze vom Grat und heule dann um mein Leben wie ein verängstigtes Kind.« Wieder senkte Elvor den Blick auf seine Füße.
»Ist es denn so wichtig, Heldentaten zu vollbringen?«
»Für mich schon.«
»Weshalb?«
Elvor seufzte tief und schüttelte schließlich den Kopf. »Weil ich ein Sternenfaust bin und der Name verpflichtet.«
Enna runzelte die Stirn. Das hatte sie geahnt: Der große Name seines Ahnen war gar kein Aushängeschild für Elvor – sondern eine bedrückende Last.
»Immer habe ich das Gefühl, im Schatten meines Großvaters zu stehen. Meinem Vater erging es schon so, und es grämte ihn so sehr, dass er daran gestorben ist.«
Enna erinnerte sich an Tondurim Sternenfaust. Es war noch nicht lange her, dass er in die Grünen Gefilde gezogen war. Tondurim war meist schweigsam gewesen und hatte verbittert gewirkt. Doch nie zuvor hatte sie sich gefragt, weshalb dies so gewesen war. Dass es an Bronn, seinem Vater, gelegen haben mochte, hätte sie nicht gedacht.
»Du musst dich von dieser selbst auferlegten Verpflichtung befreien! Kein Halbling erwartet Heldentaten von dir.«
»Einer schon«, widersprach Elvor sehr ernst. »Ich selbst.«
»Und genau da liegt das Problem. Du darfst dich nicht von deinen Erwartungen beherrschen lassen.« Enna rüttelte Elvor an der Schulter, und der zugegebenermaßen gut aussehende Halbling blickte ihr in die Augen. Er wirkte traurig.
»Denk darüber nach, Elvor.« Enna erhob sich. »Und sieh es doch einfach mal so: Manch einem wäre es gar nicht erst gelungen, sich auf diesem Felsen in Sicherheit zu bringen. Die meisten wären wohl daran vorbeigeschlittert und in den Abgrund gestürzt.«
Damit wandte sie sich ab, nicht ohne Elvor noch ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. Sie spürte, wie er ihr hinterhersah, und war sich sicher, er würde über diese Worte nachdenken.
Nach der Rast marschierten sie weiter nach Süden, noch immer entlang des Grenzsees. Am fernen Horizont zeichneten sich inzwischen dunkel die Umrisse von Bergen ab, und Nespur erklärte ihnen, dass es sich um die Suravan-Berge handelte.
Nachdem sie den Grenzsee schließlich hinter sich gelassen hatten, wanderten sie durch wogendes Gras, das sich über eine hügelige Gegend erstreckte. Hier und da veränderten kleine Wäldchen das Landschaftsbild. Dies war Arbor: einst das Land der Menschen. Doch nun war es zerstört und verlassen. Zum Entsetzen der Halblinge mussten sie immer wieder kleine Dörfer durchqueren, in denen noch grausig zugerichtete Leichen lagen. Ansonsten bekamen sie keinen zu Gesicht. Die einstigen Bewohner Arbors waren entweder tot, in die Nordlande geflohen oder von den Erinyen versklavt worden.
Es war ein wunderschöner Frühlingstag, dennoch machte sich angesichts der Zerstörung eine bedrückende Stimmung breit. Auch das Zwitschern der Vögel und das Summen der Insekten konnte die Halblinge nicht aufheitern.
Am Abend erreichten sie ein Wäldchen unweit eines verlassenen Dorfes, wo sie beschlossen, im Schutz des Waldrandes die Nacht zu verbringen. Jul bereitete den Fisch zu; er tat dies nicht über dem Feuer, sondern legte ihn in irgendeiner sauer riechenden Flüssigkeit ein und bestrich ihn dann noch mit zerstampften Kräutern. Jorim setzte sich auf den Boden und blickte durch die Bäume hindurch auf das Land. Als die Dunkelheit hereinbrach, stand ein abnehmender, aber noch fast voller Mond am Himmel und warf sein silbernes Licht über das leise im Wind wogende Gras. Die Hütten des verlassenen Weilers lagen still da, kein Licht drang aus den kleinen Fenstern, kein Hund bellte, kein Geräusch war zu hören. Es war gespenstisch. Der Wind säuselte beständig in den Bäumen und durch die Gräser wie ein
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