Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
Herrschaftsanspruch unumstößlich gewesen. Fast schon zärtlich glitten Hanafehls Finger nun über den Stein, der noch immer vom Blut des einstigen Herrschers dunkel verfärbt war.
Eine Weile noch beobachtete er, wie der Wind vereinzelte Sandkörner über den Boden fegte und dabei sein klagendes, heulendes Lied sang. Hanafehl wartete ab, bis er sich zu einem Sturm gesteigert hatte und einem wütenden Tier gleich das Tal mit seinem Heulen erfüllte.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, seine Entscheidung kundzutun. Hanafehl wusste, auch wenn sein Volk nicht sichtbar war, es beobachtete ihn dennoch. Sie lauerten in den Höhlen, in Erdlöchern oder in den Ritzen zwischen dem Gestein. Barantor war ein zerklüftetes Land, und es bot dem Schatten viele Gelegenheiten zum Verweilen. Schatten und Dunkelheit, so wie Ghule es mochten.
Zweimal nur klatschte Hanafehl in die Hände, dann entstand Bewegung. Für den ungeübten Beobachter hätte es wohl ausgesehen, als würden düstere Schemen lebendig werden und sich schlangengleich erheben, doch Hanafehls zusammengekniffene Augen erkannten jeden Einzelnen seines Volkes. Nur widerwillig krochen sie ans Tageslicht, wenngleich dieses unter den nahenden schwarzen Wolkenmassen allmählich zu schwinden begann.
Schließlich erhob sich Hanafehl von seinem Felsen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Ihr alle kennt inzwischen den Grund, weswegen ich zu Zervana von Myrador gereist bin«, rief er mit seiner volltönenden, tiefen Stimme. »Wir Ghule haben ihr bereits geholfen, die Elfen und Menschen der Südlande zu vernichten. Doch dies ist ihr nicht genug. Um einem Angriff aus den Nordlanden zuvorzukommen, plant sie eine Invasion in diese Lande – einen Kriegszug, bei dem wir sie erneut unterstützen sollen.« Ein leises Murren und Zischen erhob sich, doch Hanafehl redete unbeirrt weiter. »Wir helfen der Herrscherin der Erinyen, die Feinde im Norden zu zerschlagen, im Gegenzug erhalten wir die Nordlande! Die Erinyen bleiben in Myrador, wo die Berge ihre hässlichen Fackeln nähren und von wo aus sie die Südlande beherrschen wollen.«
»Wir können ihr nicht trauen«, erklang die kehlige Stimme eines alten, gebeugten Ghuls, dessen ausgedünntes bleiches Haar von seinem Kopf herabhing wie alte Spinnweben.
Hanafehls kalte, leicht bläuliche Augen verengten sich zu Schlitzen. »Noch nie in meinem Leben habe ich irgendjemandem außer mir selbst vertraut. Und das wird sich auch niemals ändern. Dennoch ist es mein Entschluss, dass wir mit den Erinyen in den Krieg gegen die Nordlande ziehen werden.«
Wieder brach Unruhe aus, wenngleich die meisten seines Volkes sich wohl mit dem Gedanken an Krieg anfreunden konnten, wie er an den sich gierig reckenden Köpfen erkannte. Trotzdem durfte er nicht das geringste Zaudern dulden, denn selbst die Saat des Zweifels eines einzigen Ghuls vermochte zu einem ganzen verfluchten Dornengestrüpp heranzuwuchern.
Hanafehls Hand packte einen Felsbrocken, hob ihn in die Luft, und so, wie er es mit Ydrax’ Schädel vor nicht allzu langer Zeit gemacht hatte, schmetterte er den Stein mit aller Kraft auf den mit Blut besudelten Felsblock, wo er in unzählige Stücke zerbarst. Noch bevor der Widerhall in dem weitläufigen Talkessel verebbte, wurde die Menge totenstill. Nur der tosende Sturm riss und zerrte an den bleichen Wesen.
Hanafehls weiße Haare wirbelten um seinen Kopf und leuchteten ein letztes Mal in der Sonne, was einen faszinierenden Kontrast zu seiner ungewöhnlich dunklen Haut schuf. Dann schoben sich die Wolken endgültig vor die leuchtende Himmelskugel. Ehrfürchtig starrte sein Volk zu ihm auf, als er weitersprach.
»Ich bin nicht Ydrax, ich bin Hanafehl! Wie Zervana auch bin ich begierig darauf, neue Wege zu beschreiten und mein Volk zu neuer Größe zu führen!« Er breitete die gewaltigen Arme aus und spannte bewusst seine mächtige Schultermuskulatur an. »Seid ihr nicht alle hungrig? Wollt ihr euch nicht an dem Fleisch der Elfen und Menschen und aller Völker des Nordens laben? Wenn ja, dann folgt mir, denn euren Hunger stillen könnt ihr in den Südlanden auf Dauer nicht mehr.« Hanafehl senkte den Kopf und seine Stimme wurde leiser, aber auch bedrohlicher. »Und was die Erinyen angeht, lasst sie meine Sorge sein. Werdet ihr mir also folgen?«, rief er laut, und kaum hatte er die Frage gestellt, hallte ein Donnerknall durch das Tal. Hanafehl schmunzelte in sich hinein, mehr Theatralik hätte er sich nicht wünschen können. Es
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