Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
aufeinandergeschichtete Felsbrocken bildeten eine Brücke zu dieser Insel.
Jorim wandte seinen Blick ab und schaute sich in der riesigen Höhle weiter um. Schnell wurde ihm klar, dass diese für die Erinyen eine besondere Bedeutung haben musste. Etwa zehn Schritte von der Höhlenwand entfernt und auf deren ganzen Länge verteilt ragten Steinsäulen empor. Waren die meisten von ihnen noch unfertig oder nur grob behauen, so zeigten andere schon die vollendeten Statuen von Erinyen. In einer Hand hielten sie die tödliche Geißel, kunstvoll gemeißelt aus Stein, in der anderen, die erhoben war, die brennende Fackel. Ernste Augen fixierten mit starrem Blick die Insel auf dem kleinen See in der Höhlenmitte.
Zwei weitere Stollen führten aus der Höhle heraus: ein schmaler, der, wie Jorim erkannte, Wagenspuren am Boden aufwies, und ein weiterer, wesentlich breiterer Gang.
Schweigend führte die Erinya die drei durch die Höhle, betrat den kleineren Stollen, und kurz darauf erreichten sie einen weiteren Raum. Hier schufteten die fünf Halblinge, die Jorim und seine Gefährten in der letzten Nacht beobachtet hatten. Am Rand standen zwei Karren mit Ponys, welche die Köpfe gesenkt hatten. Die gefangenen Halblinge hielten mit der Arbeit inne und blickten neugierig auf, als sie die Neuankömmlinge bemerkten.
»Hier sind eure Artgenossen.« Die Erinya wies mit ihrer Fackelhand in die hinterste Ecke des Raumes, der daraufhin ausgeleuchtet wurde. »Ich werde in Kürze wiederkommen und kontrollieren, ob sich eure Arbeitskraft auswirkt. Sollte das nicht der Fall sein, werdet ihr sterben.«
Sie sagte dies so trocken und ungerührt, dass niemand an ihrer Drohung zweifelte. Zakanja musterte die Halblinge wie lästige Insekten. »Ich hoffe, Zervana schickt schon bald mehr Sklaven, hoffentlich Menschen, die sich mit dem Abbau des Silbers besser auskennen als ihr.«
Die Erinya wandte sich ab, ihr Umhang wehte um ihre langen Beine herum, dann ging sie leisen Schrittes in Richtung Ausgang. Dort hielt sie allerdings noch einmal kurz an und drehte sich zu den Gefangenen um. »Und wagt es nicht, die Zeremonie zu stören!« Damit verschwand sie endgültig und ließ einige verwunderte Halblinge zurück.
»Wer seid ihr?«, ertönte eine Stimme. Fünf Halblinge schritten langsam auf Jorim, Nespur und Elgo zu. Jorim hielt seine Fackel in die Höhe. Als deren Licht die Gestalten erfasste, erschrak er. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er derart abgemagerte Vertreter seines Volkes gesehen. Ihre Gesichter waren eingefallen und mit Staub bedeckt, ebenso wie ihre Haare, die dadurch grau wirkten. Die Bäuche, die Halblinge zumeist recht stolz vor sich her trugen, waren bis auf einen kümmerlichen Rest zusammengeschmolzen. Irgendwie sahen sie alle gleich aus: von oben bis unten verdreckt und grau. Nespur schüttelte den Kopf und presste wutentbrannt die Lippen aufeinander. Elgo hielt sich im Hintergrund, am Rande des Fackelscheins, doch auch ihm stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Selbst im Halbdunkel konnte Jorim erkennen, wie bleich er geworden war.
»Ich bin Jorim Borkenfeuer, das sind Nespur Fährtenauge und«, er zögerte kurz, »dies ist Elgo.«
Schweigend schlurften die Halblinge näher, was beinahe schon beängstigend wirkte. Jetzt bemerkte Jorim zudem, dass sie allesamt bereits recht betagt sein mussten, denn die Gefangenen waren von zahlreichen Falten gezeichnet. Ihre Blicke wanderten eine Weile über Jorim und seine Gefährten, dann trat einer von ihnen nach vorn. Sein Gesicht war noch ausgezehrter als das der anderen, die Mundwinkel hingen ebenso schlaff herab wie seine Schultern. Selbst die Haare, die bei Halblingen zumeist gelockt waren, schienen ihre Kraft verloren zu haben und klebten nur noch glatt und fettig an seinem Kopf.
»Ich bin Ambrin Flusstal«, begann er, »das sind Pim Himmelsauge, Rimen Dornenschlag, Talegrin Westwind und Fundil Feuerspucker.« Nacheinander wies er auf die Halblinge, und Jorim hatte das Gefühl, einige der Nachnamen schon mal gehört zu haben, doch er konnte sie nicht wirklich zuordnen.
»Einst waren wir stolze fünfzig«, erklärte Ambrin, »wir haben das Leben geritten wie einen wilden Drachen und auf den Tod hinabgeschaut. Doch nun sind wir gebeugt und gebrochen von der Last dieser mühseligen, sinnlosen Arbeit. Viele von uns haben in dieser verdammten Mine ihr Leben gelassen.« Er hielt kurz inne, kniff die Augen zusammen und trat noch einen Schritt nach vorn, wobei er Elgo fixierte.
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