Der Kampf der Insekten
schaltete die Taschenlampe ein, lief hinüber und untersuchte das Loch.
»Wie lange ist dieser Spalt schon da, Vater?«
»Seit Jahren. Ich glaube, seit einem Erdbeben, mehrere Jahre bevor deine Mutter starb.«
Joao rannte zur Tür und durch den Korridor, die Steintreppe hinunter und aus der Haustür in den Garten. Er leuchtete die Hauswand im Umkreis des Fensters ab.
»Joao, was machst du da?«
»Meine Arbeit, Vater.« Joao blickte zurück und sah, daß sein Vater ihm in den Garten gefolgt war. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Hauswand, ließ den Lichtkegel langsam abwärts wandern, bis er den Boden erreichte. Dann kauerte er nieder und suchte die Erde ab, spähte unter jeden Brocken, jedes Grasbüschel. Er nahm sich die Beete und Sträucher vor, dann den Rasen. Sein Vater kam langsam auf ihn zu.
»Siehst du es?«
»Nein.«
»Wahrscheinlich weggeflogen.« Seine Stimme war ruhig, fast erleichtert. »Du hättest mir erlauben sollen, es totzuschlagen.«
Joao stand auf und starrte hinauf zu den Dachbalken und den Rundziegeln. Dort oben gab es Schlupfwinkel genug. Aber wahrscheinlich hatte sein Vater recht. Das Insekt war weggeflogen. Es war sinnlos, hier draußen weiterzusuchen. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Nur das Licht aus dem Studierzimmer seines Vaters und die Taschenlampe in seiner Hand legten Schneisen in die tropische Nacht.
Ein durchdringendes Zirpen, das die Ohren schmerzen machte, erfüllte plötzlich die Luft. Es schien aus dem hinteren Teil des Gartens zu kommen, der mit einer Mauer an die Straße grenzte. Selbst als das Geräusch aufgehört hatte, schien es noch um sie in der Luft zu hängen. Joao fühlte sich von einem Schauer überlaufen. Er wandte sich zur Einfahrt, wo er seinen kleinen Transporter geparkt hatte, leuchtete hinüber.
»Was für ein seltsames Geräusch«, sagte sein Vater. »Ich …« Er brach ab, stierte auf den Rasen. »Was ist das?«
Der Rasen schien in Bewegung wie eine Welle, die sich im seichten Küstenwasser verläuft. Sie war noch einige zehn Schritte entfernt, kam aber rasch näher, eine unwirkliche Erscheinung. Schon war sie zwischen ihnen und dem Hauseingang.
Joao packte seinen Vater am Arm. Er zwang sich zur Ruhe, um den alten Mann nicht noch mehr zu erregen. »Wir müssen zu meinem Transporter, Vater. Wir müssen über sie laufen.«
»Über … sie?«
»Dies sind solche Insekten wie das, was wir drinnen gesehen haben, Vater – Millionen von ihnen. Sie greifen an. Vielleicht sind sie keine Käfer. Vielleicht sind sie mehr wie Wanderameisen. Wir müssen zum Transporter. Dort habe ich Ausrüstungen, um sie abzuwehren. Im Transporter werden wir sicher sein. Es ist ein Bandeirante-Transporter, Vater. Du mußt mit mir laufen, verstehst du? Ich werde dich stützen, aber du darfst nicht straucheln und unter sie fallen.«
»Ich verstehe.«
Sie begannen zu laufen. Joao hielt seines Vaters Arm und wies den Weg mit dem Licht. Als sie in den Strom der Insekten kamen, sprangen die Tiere vor ihnen zur Seite und öffneten einen Pfad, der sich hinter ihnen wieder schloß.
Der weiße Rumpf des Transporters ragte ungefähr fünfzehn Meter vor ihnen aus den Schatten.
»Joao … mein Herz«, keuchte der alte Mann.
»Du kannst es schaffen«, schnaufte Joao. »Es ist nicht mehr weit. Schneller!« Er zog seinen Vater mit sich, und auf den letzten Meter wurde es mehr ein Tragen als ein Ziehen.
Joao riß die Seitentür auf, schlug auf den Lichtschalter, griff nach Schutzanzug und Sprühgewehr – und hielt inne. Er wandte den Kopf und starrte ins gelbe Licht der Kabine.
Zwei Männer saßen dort – Indios aus dem Sertao, nach ihrem Aussehen zu schließen, mit dunklen, glitzernden Augen und schwarzen Ponyfrisuren unter Strohhüten. Sie sahen wie Zwillinge aus, identisch bis zu den Autoreifen-Sandalen, den abgerissenen, schmutziggrauen Kleidern und den ledernen Schulterbeuteln. Die käferähnlichen Insekten krabbelten um sie her, waren an den Wänden, an der Decke und auf den Instrumenten.
»Was – was zum Teufel ist das?« keuchte Joao.
Einer der Indios hob eine Flöte und machte eine beschwichtigende Geste damit. Er sprach in einer rauh schnarrenden, seltsam akzentuierten Stimme.
»Kommt. Nichts wird euch geschehen, wenn ihr gehorcht.«
Joao fühlte seinen Vater zusammensacken, fing ihn auf und hielt ihn in seinen Armen. Wie leicht er war. Sein Atem ging kurz und schnell. Sein Gesicht war bläulich angelaufen. Schweißperlen standen auf seiner
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